Hallo Miriam, Du bist eine sehr vielseitig interessierte Person, schreibst Bücher über psychologische Themen, befasst dich mit Quantencomputing und forschst aktiv im Bereich der Corporate Communication. Was ist deine Strategie, um ohne den Rahmen eines Studiums neues Wissen zu erlangen?
Na, das ist immer eine Frage, was man unter Studieren versteht. Ich begreife das ganze Leben als Lernprozess. Neulich habe ich bei einem Vortrag gefragt, warum Universitäten immer noch die Idee haben, Studierende nur für ein paar Semester durch einen Bachelor- und einen Masterstudiengang zu schicken. Wir leben in einer Welt, die sich permanent so verändert, dass wir eigentlich unser Leben hindurch weiterstudieren müssen. Genau das tue ich auch – aus Neugierde, oder, anders ausgedrückt, aus dem Gefühl des Neuglücks heraus. Ich bin immer besonders glücklich und zufrieden, wenn ich mich mit neuen Ideen auseinandersetzen kann. Das mache ich, indem ich sehr viel lese, Bücher, aber auch kurze Formate über Newsletter. Dafür habe ich mir meine eigene Informationsverwaltung organisiert: über die App Reader von Readwise. Da werfe ich alles rein, Zeitungsartikel, wissenschaftliche Aufsätze, Reports und andere Quellen. Am Wochenende nehme ich mir mehrere Stunden Zeit, um das zu lesen, was ich in der Woche nicht geschafft habe. In der App kann ich die Artikel mit Schlagworten versehen. So kann ich sie im Anschluss je nach Themenkontext leicht wiederfinden zum Beispiel beim Schreiben. Auf diesem Weg kann ich meine Freude am Lesen mit einem Ordnungsrahmen verbinden, der mir die Arbeit erleichtert und mir hilft, den Durchblick im Infodschungel zu behalten.
Ist es lediglich die Neugierde oder das Neuglück, das dich antreibt, oder verbirgt sich hinter deiner Arbeit noch ein weiterer intrinsischer Motivator?
Ich glaube, die Lust auf Neues ist das eine; das Andere ist schlicht der Wille zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert. Als Kind habe ich meine Eltern zuweilen in den Wahnsinn getrieben, weil ich alles auseinandergenommen habe, um reinzugucken, was sich darin verbirgt. Zum Beispiel hatte ich einen analogen Wecker, den ich in seine Einzelteile zerlegt habe, um zu sehen, was drin ist, aber vor allem, um zu verstehen, wie das Uhrwerk funktioniert. Das ist vielleicht eine schöne Metapher für das, was eigentlich immer in mir geschlummert hat. Ich schaue rein und möchte wissen, wie das Innenleben aussieht und wie es funktioniert. Bei Menschen ist das etwas schwieriger als bei Weckern. Da geht das nur über den Weg der Kommunikation. Das ist vermutlich der Grund, warum ich dieses Themenfeld auch so interessant finde.
In deinem neu gegründeten Unternehmen ada coacht ihr andere Unternehmen und zeigt ihnen Möglichkeiten auf, wie man neue Technologien effizient nutzt. Wie schätzt du derzeit den Stand von Unternehmen in Deutschland und der Schweiz ein hinsichtlich der Ausschöpfung des Potenzials von Technologie, konkret KI?
Wir stehen in diesem Prozess natürlich noch ganz am Anfang. Aber es gibt einige sehr positive Beispiele, die zeigen, wie man KI sinnvoll einsetzen kann. Schweizer Pharmaunternehmen, Roche und Novartis beispielsweise, machen das sehr konsequent. Auch für die Finanz- und Versicherungsbranche bietet die Technologie ein Riesenpotential. Die Zürcher Kantonalbank experimentiert mit KI, die Mobiliar und die Helvetia haben ihre eigenen GPTs entwickelt. Ganz häufig geht es erst einmal um die strategische Frage, wie und wo man KI tatsächlich sinnvoll und richtig einsetzen kann. Da erlebe ich, dass viele Unternehmen weitgehende Fragen haben dazu, wie sich die technologischen Anwendungen implementieren lassen. Und es gibt auch einige Beispiele, bei denen der Innovationsprozess eher zögerlich verläuft. Das ist oft bei kleinen und mittelständischen Unternehmen der Fall. Sie haben nicht die Ressourcen. Oft zeigt sich dann auch, dass das Thema Technologie nicht primär ein technisches, sondern ein kulturelles ist. Nach dem Motto: ‘Wir sind erfolgreich und wissen, wie es geht. Warum sollten wir uns also verändern?’ Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass irgendwann der Moment der Veränderung unausweichlich wird. Wenn man dann erst zu reagieren beginnt, ist es zu spät. Wir unterstützen mit ada den Organisationswandel, damit Unternehmen rechtzeitig die Weichen stellen können, um die grossen Chancen der neuen Technologie zu nutzen, sei es in der Produktentwicklung oder im Kundenservice, und nicht erst dann anzufangen, wenn sie bereits bei allen anderen angekommen ist. Dann ist ein möglicher Wettbewerbsvorteil verloren. Und damit man den für das eigene Unternehmen hebeln kann, braucht es auch gut ausgebildete Mitarbeitende, die wissen, wie sie mit KI strategisch richtig und verantwortungsvoll umgehen.
Der Titel deines neuen Buches „Alles überall auf einmal“ weist ja bereits auf diese rasante Entwicklung hin. Ein früheres Buch von Dir, „Brief an mein Leben“, stellt hingegen die Entschleunigung ins Zentrum. Wie schafft man es trotz der rasanten Umschwünge, Entschleunigung in seinem Leben zu halten?
Im ersten Moment wirkt das wie ein Widerspruch, und ich glaube, in Ansätzen ist es das auch. Wir leben in einer widersprüchlichen Welt: alles wird immer schneller, aber wir Menschen brauchen gleichzeitig Pausen, Momente der Ruhe und der Besinnung – auch um die richtigen Entscheidungen für den rapiden Wandel zu treffen. Derzeit verspüren viele Menschen ein Gefühl der Überforderung durch Künstliche Intelligenz. Aber dieses Gefühl ist nicht neu, es ist immer schon aufgetreten bei großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Ein anschauliches Beispiel für diese Überforderung war auch die Erfindung der Glühlampe. Plötzlich gab es künstliches Licht. Nicht mehr der Lauf der Sonne hat die Arbeits- und Lebenszeiten bestimmt, sondern es war hell, wann immer man wollte. Unsere Arbeitsverhältnisse haben sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt, und das hat für Unsicherheit gesorgt. Im Zuge der beginnenden Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts haben die Weber mit ihrem Aufstand gegen die Veränderung der Arbeitsverhältnisse und die Verarmung durch neue Technologien, in diesem Falle den automatischen Webstuhl, protestiert. Das ist erst einmal menschlich, denn wir sind in gewisser Weise Gewohnheitstiere, die erst mal überfordert sind, wenn alles neu ist. Wir haben es historisch betrachtet aber auch immer wieder geschafft, mit den Veränderungen umzugehen, deshalb bin ich optimistisch. Für die Künstliche Intelligenz wage ich eine Prognose: Es könnte dieses Mal gelingen, Arbeit wirklich zu verändern, in dem Sinne, dass die Produktivität wächst, ohne dass wir mehr arbeiten müssen. Wir alle schreiben E-Mails, wir machen Termine, müssen Texte produzieren. Das kann uns künstliche Intelligenz abnehmen. Wenn wir es gut machen, das heisst: Wenn wir Menschen es gut machen, dann können wir schöner und besser arbeiten bei gleichzeitigem Produktivitätszuwachs. Wenn das gelänge, wären wir bei der Prognose von John Maynard Keynes. Er hat 1930 in seinem Aufsatz „Economic Possibilities for our Grandchildren“ beschrieben, dass alle Menschen in 100 Jahren nur noch 15 Stunden arbeiten müssen – wegen des technologischen Fortschritts. Von 1930 aus betrachtet ist 100 Jahre später quasi übermorgen. Bislang haben sich der Computer und die Digitalisierung nicht in unseren Produktivitätsdaten niedergeschlagen. Jetzt könnte der Moment gekommen sein, der das ändert. Dann könnten wir in eine Zeit eintreten, die wirtschaftliche Blüte und die Möglichkeiten der Entschleunigung verbindet. Und wir könnten uns konzentrieren auf die wirklich schönen und wichtigen menschlichen Teile der Arbeit, wie die Kreativität oder das Beziehungsmanagement und die Führung. Wir können diese Welt gestalten, wenn wir es wollen.
Das bedeutet, dass nicht nur Arbeit wegfällt, sondern auch andere Fähigkeiten geschärft werden müssen, um künstliche Intelligenz als Unterstützer nutzbar zu machen. Welche zentralen Bereiche im Umgang mit KI sollten junge Leute besonders im Blick haben?
Darüber spreche ich zur Zeit viel in meiner Arbeit mit Führungskräften. Das Beziehungsmanagement wird die Kompetenz sein, die wir als Menschen entwickeln sollten, da sie in der Führung immer wichtiger werden wird. Führung ist eine wirkungsvolle menschliche Kompetenz, um andere Menschen zu motivieren und auf ein Ziel zu vereinen. Die wird uns KI nicht bieten können, aber wir brauchen sie um so dringender, um das Zusammenspiel von menschlicher und künstlicher Intelligenz optimal zu gestalten.
In deinem Buch bezeichnest du den ChatGTP Launch als Iphone-Moment. Was könnte in 10, 20, 30 Jahren der nächste Iphone-Moment sein?
Mir fallen da zwei Dinge ein, die beide in Verbindung mit KI stehen. Das erste ist die Verknüpfung von künstlicher Intelligenz und Robotik. Wir Menschen haben durch die Geschichte der Menschheit hindurch immer schon den Wunsch gehegt, uns selbst und unsere Fähigkeiten in einer Maschine replizieren zu können. Dieser Wunsch zeigt sich auch wieder sehr deutlich. Jensen Huang, der Gründer und CEO von Nvidia, hat kürzlich gesagt, wir werden bald in das Zeitalter der „physical AI“ eintreten. Dann versteht KI auch die Gesetze der Physik und kann mit uns im Raum interagieren, zum Beispiel über Roboter in der Industrie und im Alltag. Wenn das kommt, werden wir nochmals einen weiteren evolutionären Entwicklungsschritt machen, vielleicht in eine Welt, wie sie im Film „I, Robot“ von 2004 entworfen wurde. Hoffentlich dann aber mit freundlichen und wohlgesonnenen Robotern.
Der zweite Trend, der sich abzeichnet, sind die „Large Action Models“. Mit ihnen können wir dann nicht nur eine Konversation führen, wie es bei einem Large Language Model möglich ist. Sie können für uns ganze Handlungsfolgen übernehmen, sind fähig mit einem einfachen Prompt eine Reise zu planen und zu buchen, wenn meine Zahlungssysteme mit dem Large Action Model verbunden sind. Wenn ich möchte, kann ich dann auch automatisiert über jede Reisestation auf Social Media posten lassen. Ganze Handlungseinheiten werden dann von KI übernommen. Ein Prototyp, der „Rabbit R1“ wurde auf der CES in Las Vegas Anfang des Jahres vorgestellt und war sofort ausverkauft. Einen Text schreiben zu lassen oder ein Kunstwerk zu generieren, wird der Anfang sein einer sehr viel umfänglicheren Integration von KI in unseren Alltag, unsere Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie sich durch Robotics und Large Action Models bereits jetzt andeutet.
Du hast jetzt bereits viel über Large Language Models gesprochen. Hier ist OpenAI Vorreiter. Fallen dir auch andere Unternehmen ein, die vielleicht Konkurrenz machen könnten?
Das Rennen ist ja längst eröffnet. OpenAI hat derzeit die Nase vorn, und Microsoft hat strategisch sehr klug gehandelt, als es das Unternehmen so intensiv an sich gebunden hat. Google bemüht sich intensiv nachzuziehen, und jetzt beobachten wir, wie Apple beginnt, KI in seine Technologie zu integrieren. Und dann haben wir die kleineren, aber ebenso interessanten Unternehmen, wie Anthropic oder Mistral, die das Wettbewerbsfeld ein wenig aufmischen. Eine andere spannende Entwicklung ist die des internationalen Chip-Oligopols. Im Juni hat der Chiphersteller Nvidia zum ersten Mal die 3-Billionen-Dollar Bewertungsmarke überschritten. Das beobachte ich mit grossem Interesse. Wir erleben gerade, dass nicht mehr allein die horizontale, sondern nun auch die vertikale Wertschöpfung ins Blickfeld rückt. OpenAI sammelt Geld ein, um einen KI-Chip zu bauen, Microsoft und andere entwickeln den KI-PC, auf dem manche Anwendungen auch lokal laufen werden. Da ist eine enorme Integrationswelle am Rollen, und das wird Folgen haben. In den USA hat die Wettbewerbsbehörde zusammen mit dem Justizministerium jetzt eine kartellrechtliche Untersuchung gegen Microsoft, Nvida und OpenAI eingeleitet. Mir kommt unsere Zeit manchmal vor wie ein neuer Goldrausch, nur dass das Gold dieses Mal virtuell ist und die Grenze nicht der Klondike-River, sondern das menschliche Ermessen, das eigene Schicksal in die Hand der Technologie zu legen.
Du führst auch ein eigenes Startup. Seht ihr euch in der Rolle eines Wissensvermittlers oder seht ihr euch eher als Forscher oder sogar Implementierer?
Wir sind so etwas wie ein externer Innovationsbeschleuniger, der mit Gruppen von Menschen aus Unternehmen arbeitet. Wir helfen ihnen dabei, sich selbst in die Lage zu versetzen, Veränderungen zu managen und Transformation voranzutreiben. Das machen wir auf Basis neuester Erkenntnisse aus der Forschung, aber wir gehen viel mehr in die konkrete Anwendung. Mit unseren Teilnehmenden, den „ada-Fellows“, arbeiten wir an konkreten Problemen, die aus den Unternehmen oder Organisationen mitgebracht werden. Wir entwickeln gemeinsam mit ihnen konkrete Lösungen im Prozess eines inzwischen KI-gestützten Prototypings. Wer heute erfolgreich sein muss, muss nicht nur über neue Technologien und ihre Entwicklungen Bescheid wissen, sondern auch in der Lage sein, daraus die richtigen Schlussfolgerungen für die Praxis zu ziehen und sie in Opportunitäten umzusetzen.
Könntest du uns hierzu ein Beispiel geben? Welche konkreten Tipps gebt ihr den Unternehmen in euren Workshops?
Während der Pandemie haben wir zum Beispiel gemeinsam mit einem Unternehmen eine App zur Verbesserung der Qualität virtueller Meetings entwickelt. Durch die App wurden die Mitarbeitenden gezwungen, bestimmte Vorbereitungsschritte im Voraus durchzudeklinieren, nach dem Meeting müssen die Mitarbeitenden die Qualität der Vorbereitung und des Meetings selbst bewerten. Das funktioniert prima, weil die Leute sich dann tatsächlich vorbereiten und genau überlegen, „Was genau wollen wir mit diesem Meeting erreichen?“. Mit einem anderen Unternehmen haben wir einmal einen digitalen Wissensraum zum Thema Chancen und Risiken des Quantum Computing gebaut. Unsere Projekte sind alle sehr praxisorientiert. Uns ist wichtig, dass die Mitarbeitenden immer einbezogen und so selbst zu Innovationstreibern werden. Diese Mitwirkung bei unseren Projekten wirkt sich sehr positiv auf die Mitarbeiterbindung zum Unternehmen aus: Wenn man versteht, wie man Innovation mitgestalten kann und wenn es Unternehmen gelingt, dies in der eigenen Organisationskultur zu verankern, dann ist das der beste Weg, motivierte Mitarbeiter zu halten.
Du bist neben deiner Arbeit als Geschäftsführerin bei ada auch als Professorin für Corporate Communications hier an der Universität St. Gallen tätig. Kannst du zwischen diesen beiden Jobs Synergien feststellen?
Thematisch ja, weil es an beiden Stellen viel um neue Technologien geht, praktisch eher nein. Das Leben als Wissenschaftlerin an einer Universität und einer Start-up-Gründerin ist sehr unterschiedlich, auch im Hinblick auf das Tempo. Das Start-up Leben ist viel schneller und viel chaotischer als das Uni-Leben. Manchmal muss ich ein innerliches Bremsmanöver einlegen, wenn ich an der Uni bin, weil ich sonst vielleicht manch einen überfordere. In der Lehre und Forschung geht es ja ums vertiefte Nachdenken und um die tiefergehenden Wissensvermittlung. Und umgekehrt muss ich einen Gang zulegen, wenn ich aus dem Hörsaal in meine Rolle als Unternehmerin wechsle, weil ich dann häufig sehr viele Entscheidungen sehr schnell treffen muss. Mir persönlich gefällt dieser Tempowechsel. Beide meiner Tätigkeiten ergänzen sich perfekt und inspirieren sich gegenseitig. Ich kann sehr viel von meinen unternehmerischen Erfahrungen in meine Uni-Kurse einbringen, und genauso hilft es mir bei strategischen Fragen des Unternehmertums, mich tiefergehend wissenschaftlich mit wichtigen Themen auseinanderzusetzen.
Wo siehst du im Kontext der universitären Bildung die grössten Gefahren von künstlicher Intelligenz?
Ich würde nicht immer von Gefahren reden, sondern von Herausforderungen. Als ChatGPT auf den Markt kam, waren viele im Bildungssektor erst einmal ängstlich, und sofort wurde die Frage heiss diskutiert, ob man überhaupt noch Hausarbeiten als Leistungnachweise verlangen kann. Mittlerweile hat sich diese Diskussion ein wenig beruhigt. Wir Menschen haben angefangen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie wir mit KI-Tools arbeiten können, was menschlich und was künstlich generiert ist. Und es gibt ja auch hilfreiche Erkennungstools, die analysieren, ob ein Text mit ChatGPT geschrieben wurde. Trotzdem wird KI die Wissenschaft verändern, im Guten wie im Schlechten. Eine Studie hat kürzlich nachgewiesen, dass in den Einreichungen für Journal-Publikationen Worte wie „intricate” oder „metriculous“ tausendfach zugenommen haben. Solche Begriffe benutzt man nicht, wenn man normal schreibt, aber ChatGPT nutzt sie ständig, da das Tool auch auf sehr vielen literarischen Daten trainiert wurde.
Grundsätzlich schaue ich anders auf das Thema. KI wird nicht wieder weggehen. Wie also lernen wir, gut damit umzugehen und sie uns zunutze zu machen? In meinem Kurs fordere ich mittlerweile oft einen zweiteiligen Leistungsnachweis von den Studierenden. Sie erarbeiten beispielsweise ein strategisches Kommunikationskonzept, indem sie aktiv KI-Tools nutzen. Von der Strategieentwicklung über die Textgenerierung bis zu Videotools und Bildgeneratoren – bei allem darf, ja soll mit künstlicher Intelligenz gearbeitet werden. Im zweiten Teil verlange ich einen Essay, der reflektiert, wie die Arbeit mit der künstlichen Intelligenz funktioniert hat. Was hat gut geklappt? Was hat gefehlt? Wie ergänzen sich menschliche und künstliche Intelligenz? Dieser Essay muss ohne KI geschrieben werden. So lernen die Studierenden die richtige Kollaboration zwischen Mensch und Maschine – praktisch in der Anwendung und in der Reflexion.
Was konntest du in deiner Rolle als Gründerin lernen, was du bisher aus deinen vielen anderen Positionen noch nicht mitnehmen konntest?
Sehr viel! Ich habe gelernt, grundsätzlich sehr kritisch auf alles zu blicken, weil man sich eben nicht auf alles verlassen kann. Zum Beispiel habe ich zum Teil sehr schlechte Erfahrungen im Umgang mit Dienstleistern, vor allem Banken, machen müssen. Darüber könnte ich ein paar Kurzgeschichten schreiben. Als Start-up-Unternehmerin ist man ja auch Allrounder, man macht einfach alles. Man kann auch mit Professorinnentitel noch dreckige Tassen in die Spülmaschinen räumen und simple Büroarbeiten machen – einfach, weil es niemand anderen gibt, der das tun könnte. Wenn man aus Jobs kommt, in denen man ein Riesenbüro hatte, Hunderte von Leuten geführt hat und teilweise eine Fahrerin hatte – wie das in der Politik war – dann ist das ein echter Tapetenwechsel. Ich finde, das war und ist eine grossartige Erfahrung, denn es ist sehr erdend, und ich mag es auch, mich aus der Comfort-Zone zu begeben. Was anstrengend ist: Als Unternehmerin bewegst du dich ständig in der Ambivalenz. Auf der einen Seite musst du überbordende Begeisterung für deine Firma haben, auf der anderen Seite musst du die grösste Skeptikerin sein, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Das fordert einen. Aber mich hat es auch in vielen Dimensionen bereichert; mit lustigen Geschichten, mit tollen Begegnungen, und mit der Gewissheit, dass ich auch neue Dinge schaffen und ins kalte Wasser springen kann. Was auch ein tolles Learning war, ist die Freiheit, die mit einer Gründung einhergeht: etwas neu gestalten zu können und sagen zu können: Ich habe eine Idee, und die setzen wir jetzt um!
Vor deiner Position bei ada warst du Chefredakteurin der Wirtschaftswoche. Wenn du heute noch in dieser Position tätig wärst, was wären Herausforderungen und Aufgaben, denen du im Hinblick auf KI in der Medienbranche gegenüberstehen würdest?
Zunächst einmal würde ich die Art und Weise der Berichterstattung zum Thema KI ändern. Ich würde die Perspektive nicht so negativ und ängstlich gestalten, wie es häufig im deutschsprachigen Raum die Gewohnheit ist, sondern auch die Chancen von KI beleuchten. Wie können wir generative KI jetzt nutzen, um unseren Wirtschaftsstandort nach vorne zu bringen, produktiver zu werden, auch europäische Angebote zu schaffen?
Ein zweites Thema ist der Umbau der redaktionellen Prozesse. Gar nicht in dem Sinne, dass man durch KI nun Menschen ersetzen kann, sondern dass die Teile des Arbeitsprozesses ersetzt werden, die eigentlich niemand gerne macht, wie zum Beispiel Bildunterschriften oder Informationskästen in Artikeln erstellen. Dies kann alles von einer KI erledigt werden, und man hat dann mehr Zeit für die wirkliche Recherche und dafür, gute Geschichten zu schreiben. Ich würde auch versuchen, ein Konsortium mit anderen Medien zu bilden. Auf übergeordneter Ebene würde ich mit anderen Medienunternehmen zusammenarbeiten und neue Möglichkeiten mit KI ausprobieren, um Synergieeffekte zu nutzen. Wir müssen schon ein bisschen aufpassen in Europe. KI kommt aus den USA und – mit Einschränkungen – aus China. Das ist keine gute Entwicklung.
Du meintest einmal in eine Podcast, dass du dich häufig nach ungefähr sieben Jahren in einer Position langweilst und dann gerne etwas neues lernen würdest und einen neuen Job ausprobieren willst. Was könnte in deiner jetzigen Position ein Grund dafür sein, dass du dich langweilst und wieder einen neuen Weg einschlägst?
Zur Zeit verspüre ich keine Langeweile. Im Beruf der Wissenschaftlerin habe ich immer die Chance, mich neuen Themen zu widmen. Ich habe beispielsweise vor einigen Jahren das Thema Quantencomputing für mich entdeckt, in dem ich zur Zeit ein spannendes grosses europäisches Forschungsprojekt führe. Das sorgt für eine Menge an Inspiration und Abwechslung. Bei ada haben wir Anfang Februar einen CEO an Bord geholt, und ich bin in die Rolle der Executive Chairwoman gewechselt. Wir befinden uns mit dem Unternehmen jetzt in der nächsten Entwicklungsstufe, und ich bin nicht davon überzeugt, dass die Gründerinnen und Gründer eines Unternehmens stets und für alle Phasen diejenigen sind, die immer die richtigen und besten Entscheidungen treffen können. Irgendwann braucht man die Aussenperspektive; jemand Neuen, der anders auf Themen blickt und neue Ideen einbringt. Mit unserem neuen CEO arbeite ich sehr eng zusammen, aber das wird mit der Zeit auch neue Freiräume eröffnen, sodass sich dann vielleicht eine Perspektive für etwas Neues ergibt. Gerade brauche ich institutionell nichts Neues, aber ich würde mir gerne ein „Jahr der Inspiration“ gönnen, währenddessen ich immer mal wieder einen kurzen Forschungsaufenthalt mache. Die Ergebnisse könnten dann in ein neues Buch einfliessen. Das Thema habe ich schon im Kopf. Schauen wir mal!