Herr Enninga, Sie bauen momentan nicht nur den YouTube-Kanal „Markt x Moral“ auf, der sich mit liberaler Wirtschaftspolitik befasst, sondern arbeiten beim Think Tank „Prometheus“. Welche Themen beschäftigten Sie in den letzten Wochen am meisten? 

In meiner Promotion und auch während meines Forschungsaufenthalts in den USA hat mich das Thema Umweltpolitik stetig beschäftigt. Dabei geht es um die Frage, ob wir liberale ökonomische Antworten auf die vielfältigen Umweltprobleme finden können. Meine Dissertation baut auf vielen Themen auf, die auch bei Prometheus, wo ich als Research Associate tätig bin, eine Rolle spielen. Hauptsächlich untersuche ich, welche Rolle Unternehmertum bei der Lösung von Umweltproblemen spielt. Welche Bedeutung haben dezentrale politische Lösungen, im Gegensatz zu zentralisierten Ansätzen durch den Staat und supranationale Institutionen? Zudem beschäftige ich mich damit, wie eine lebendige Zivilgesellschaft zur Lösung dieser Probleme beitragen kann. In meiner Forschung, die sowohl den akademischen Liberalismus, also die philosophischen Grundlagen, als auch aktivistische Ansätze, also die praktische politische Umsetzung, untersucht, gibt es zahlreiche Überschneidungen. Wir nehmen Umweltprobleme ernst und wollen zeigen, dass es auch liberale Lösungen gibt, um diesen zu begegnen. Ein großes Thema meiner Dissertation ist Degrowth und Postwachstum. Meiner Meinung nach birgt dieses Konzept einen gewissen Autoritarismus, was liberaler Demokratie, Unternehmertum, Dezentralismus und einer lebendigen Zivilgesellschaft widerspricht. Diese Themen treiben mich um – insbesondere die Debatte um Wachstum. 

Das Thema Wirtschaftswachstum ging in den letzten Monaten nicht nur aus wirtschaftspolitischer Sicht durch die Medien. So empfiehlt der deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit, dass sich die westlichen Industrienationen von ihrem bisherigen Drang zum Wachstum lösen sollen. Was ist Ihre Meinung dazu? 

Ich halte diese Empfehlung für grundlegend falsch. Der Ethikrat nimmt hierbei nämlich zwei Seiten ein: Einerseits gesteht er den Ländern des globalen Südens zu, dass sie weiter wachsen müssen, da sie zum Teil in extremer Armut leben, aus der sie herauswachsen sollten. Wenn man sich mit Öko-Radikalismus, wie ich in meiner Dissertation, beschäftigt, muss man anerkennen, dass es schon „großzügig“ ist, dass der globale Norden laut Ethikrat dem globalen Süden dieses Wachstum „zugesteht“. Aber die Frage bleibt, bis zu welchem Punkt dies erlaubt ist, denn gleichzeitig wird den Ländern des globalen Nordens weiteres Wachstum verwehrt.  

Diese zwei Ebenen – der globale Süden und der globale Norden – sind entscheidend. Natürlich ist es wesentlich, dass der globale Süden weiter wächst, aber ich halte es für falsch, dem globalen Norden vorzuschreiben, nicht mehr zu wachsen, da es zahlreiche Ziele gibt, die wir noch erreichen müssen. 

Denn wo bleiben unsere fliegenden Autos? Wo ist unsere emissionsfreie Energie? All diese Dinge erfordern Wachstum, neue Ideen und technologische Fortschritte.  

Das ist klassisches Wachstum, und davon brauchen wir mehr in Deutschland. Es ist nicht so, dass wir gesellschaftlich bereits am Ziel wären. Gerade aus dem linken politischen Spektrum hört man oft, dass Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten, immer noch in Armut leben, dass Rentner arm sind und dass Kinder in Armut aufwachsen. Aus all dieser Armut können wir nur herauswachsen! Das betrifft sowohl den globalen Norden als auch den globalen Süden. Natürlich muss der globale Süden schneller und stärker wachsen als der globale Norden. Wir lösen die globalen ökologischen Probleme vor allem dadurch, dass wir weiter wachsen, weil wir neue Technologien und neuen Wohlstand benötigen, um diese großen ökologischen Herausforderungen zu bewältigen. 

Die Ansicht des Ethikrates – dass wir in Zukunft auf Degrowth setzen sollen – entsteht aus einem falschen Verständnis von Wachstum. Das falsche Verständnis von Wachstum ist, dass es von einer Art “Wachstumskommissar” abhängig sei. In dieser Annahme steht der Staat im Mittelpunkt und dieser steuert das Wachstum durch Maßnahmen wie Steuersenkungen oder Investitionen. Ökonomen sind sich in vielen Dingen uneinig, aber darin sind sie sich einig: Wachstum kann nicht einfach verordnet werden. Wenn das möglich wäre, warum gibt es dann diese Wachstumsschwächen im globalen Norden, wie wir sie derzeit erleben? Wenn Wachstum also so einfach zu verordnen wäre, würden wir es tun. Das Problem ist, dass es eben nicht so einfach ist – sonst könnte der globale Norden dem globalen Süden einfach sagen: “Ihr wachst jetzt.” 

Wachstum ist keine politisch beschlossene Massnahme, sondern die nicht beabsichtigte Folge eines liberalen gesellschaftlichen Ordnungsrahmens. Diese Erklärung beantwortet auch die Frage, warum Länder im globalen Süden nicht so stark wachsen. Der globale Norden versucht seit dem Kolonialismus ohne grossen Erfolg, Wachstum im globalen Süden zu fördern. Rückblickend lässt sich jedoch feststellen, dass die drei hierfür nötigen Vorrausetzungen nicht erfüllt wurden. Denn zuerst braucht es liberale Institutionen. Hierzu zählen politische Institutionen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eben keine Monopolisierung der Macht, sondern deren breite Verteilung. Darüber hinaus benötigt es ökonomische Institutionen, wie private Eigentumsrechte und einen zurückhaltenden Staat. Zweitens ist die Freiheit des Wissens entscheidend. Menschen müssen die Möglichkeit haben, Wissen zu akkumulieren und zu verbreiten, und sie müssen dafür belohnt werden. Drittens, was die Ökonomin Deirdre McCloskey in ihrer wirtschaftshistorischen Forschung gezeigt hat: Es braucht eine Wertschätzung des Unternehmertums. Sie erläuterte gut, dass es im 17. und 18. Jahrhundert, besonders in den Niederlanden und England, zu einer neuen Wertschätzung des Gewinnstrebens und Unternehmertums, was ein starkes Wirtschaftswachstum zur Folge hatte. Wenn wir also die Grundvoraussetzungen von liberalen Institutionen, Wissensfreiheit und der Wertschätzung von Unternehmertum und Gewinnstreben haben, entsteht Wachstum spontan. Ohne diese drei Elemente gibt es kein Wachstum! 

Wenn wir die Empfehlung des Ethikrats auf die Spitze treiben und sagen, der globale Norden soll nicht mehr wachsen, dann könnten wir dies nur durch einen autoritären Staat. Dieser Staat müsste die freie Marktwirtschaft abschaffen; Wissensakkumulation sowie -verbreitung zensieren und das Wachstumsstreben von Unternehmen moralisch „shamen“. Diese drei Maßnahmen würden Wachstum nachhaltig verhindern. Das Problem ist nur, dass diese drei Institutionen an sich moralisch gut sind. Wir wollen liberale Gesellschaften, weil sie positiv sind, wir schätzen Wissen und finden Unternehmertum attraktiv. Zusätzlich wachsen wir mit diesen Institutionen auch noch sehr gut. Deshalb kann man die Empfehlung des Ethikrats auch so verstehen: Autoritarismus im globalen Norden, denn dann wachsen wir nicht mehr. 

Übrigens sitzt im Ethikrat, soweit ich gesehen habe, kein einziger Ökonom. Das merkt man, denn wenn ein Ökonom an diesen Empfehlungen beteiligt gewesen wäre, sähe die Empfehlung anders aus. Diese Resonanz findet man nur in einem soziologischen Proseminar, nicht bei Ökonomen. 

Welche Rolle spielt Wachstum konkret bei der Förderung von Innovation und technologischem Fortschritt, und wie könnten diese ohne das Anreizsystem durch Wachstum aufrechterhalten werden? 

Grundsätzlich können Innovation und technologischer Fortschritt auch ohne das Streben nach Wachstum, Gewinn und Profiten stattfinden. Ich glaube, dass viele Dinge in dieser Welt sich verbessert haben, obwohl Menschen nicht danach gestrebt haben, zu wachsen oder Profite zu erzielen. Man denke nur an Familien, Vereine oder an Wikipedia, ein gigantischer Innovationsschub, der uns allen extrem geholfen hat, ohne dass irgendjemand nach Gewinn strebte. Wikipedia ist kostenlos und bittet lediglich um Spenden. Ich spende regelmässig, weil ich das Produkt grossartig finde und den Menschen etwas zurückgeben möchte. 

Das Faszinierende an der Marktwirtschaft ist jedoch, dass sie uns ermöglicht, technologischen Fortschritt und Innovation viel stärker zu fördern. Die Marktwirtschaft bietet einen Mechanismus, durch den diejenigen, die Innovation und technologischen Fortschritt schaffen, gleichzeitig auch ökonomisch belohnt werden. 

Wie Adam Smith sagte: “It’s not from the benevolence of the butcher, the baker, and so on, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.” Das bedeutet, dass Menschen anderen helfen, weil sie gleichzeitig auch davon profitieren. Wenn wir das Profit- und Wachstumsmotiv entfernen, beschränken wir uns als Gesellschaft, da wir dann nur noch von Altruisten abhängig sind. Natürlich gibt es Altruisten, und es ist großartig, dass es sie gibt. Wäre es jedoch nicht noch viel besser, wenn wir auch diejenigen, die nicht altruistisch sind, über das Profit- und Gewinnmotiv motivieren können? Diese würden dann ebenso backen, brauen, schlachten oder die neuesten Solarpaneele und Fusionsreaktoren entwickeln, einfach nur, weil sie davon profitieren. Sich ausschließlich auf Altruisten zu verlassen, kann eine Gesellschaft voranbringen, aber es geht langsamer und weniger radikal als in den letzten 250 Jahren.  

Angesichts der großen Herausforderung des Klimawandels wollen wir uns nicht nur auf Altruisten verlassen, sondern auch diejenigen einbeziehen, die coole Umweltinnovationen auf den Markt bringen, einfach weil sie davon profitieren wollen. Mir ist es egal, wie viel die Leute davon profitieren, solange sie ein großartiges Produkt auf den Markt bringen. Das Interessante ist, dass Unternehmer, die neue Innovationen auf den Markt bringen, gar nicht so extrem profitieren, wie oft im Diskurs dargestellt wird. Es gibt zwei sehr interessante Studien von William Nordhaus, der 2018 den Nobelpreis gewann. In seinen Arbeiten von 1996 und 2005 misst er, wie viel Prozent des gesamten Wohlstands durch Innovationen von den Unternehmern eingesteckt wird und wie viel sich über die gesamte Gesellschaft verteilt. Nordhaus zeigt, dass Innovatoren im Durchschnitt nur vier Prozent dessen realisieren, was sie an Wohlstand stiften. Das ist faszinierend, weil es zeigt, dass der Grossteil des Wohlstands, den Innovationen schaffen, der Gesellschaft zugutekommt. 

Man nennt das die “Alchemisten-Fallacy”: Man denkt, wenn der Stein der Weisen existiert und man ihn findet, wird man unendlich reich. Aber sobald man den Stein der Weisen findet und Gold produziert, wird der Preis für Gold fallen. Das Wissen diffundiert durch die Gesellschaft und man wird nicht unendlich reich. 

Nordhaus zeigt empirisch, dass Menschen zwar von Innovationen profitieren, aber im Vergleich zu dem, was sie an zusätzlichem Wohlstand schaffen, nur einen kleinen Prozentsatz für sich behalten. Der Grossteil des Wohlstands kommt der Gesellschaft zugute. Daher sollten wir das Profitmotiv fördern, um auch die Egoisten ins Boot zu holen. Diese verdienen zwar gut, aber nicht annähernd so viel, wie sie an Wohlstand stiften, wenn ihr Produkt erfolgreich ist. 

Ist es nicht paradox, dass stetig andauerndes Wachstum oft als Treiber für Innovation gepriesen wird, während wir gleichzeitig auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben? Wie können wir dieses Paradoxon auflösen? 

Es ist gut, dass du dieses Paradox ansprichst, besonders im Kontext der Diskussion über den Klimawandel. Denn wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Umweltproblemen zu tun. Das eine ist ein Problem des kollektiven Handelns, wie wir es aus den Sozialwissenschaften kennen. Die einen nutzen die Atmosphäre exzessiv und die anderen leiden darunter. Dieses Problem ist meiner Meinung nach relativ leicht über Steuern und das Festsetzen von Preisen lösbar und nicht über die Transformation eines ganzen Wirtschaftskonzeptes, wie es der Ethikrat vorschlägt.  

Das Problem der „Endlichkeit“ ist ein fundamentaleres Problem, das Kritiker des Wachstums oft hervorheben. Sie argumentieren, dass nicht nur der Klimawandel durch das Streben nach Wachstum verursacht wird, sondern auch, dass uns die Ressourcen ausgehen könnten. Ich vertrete jedoch die radikale Position, dass es keine festen Grenzen für Wachstum gibt. Natürlich gibt es physische Grenzen, denn die Ressourcen im Universum sind begrenzt, aber für uns und die nächsten 500 bis 1000 Jahre spielen diese Grenzen keine Rolle. Menschliche Kreativität ist so unendlich, dass sie mithilfe der Marktwirtschaft diese Ressourcenknappheit immer wieder lösen wird, was die Geschichte der Menschheit, insbesondere seit der industriellen Revolution, zeigt. Jedes Mal, wenn Ressourcen knapp wurden, fanden wir andere Lösungen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir irgendwann das letzte Stück Kohle oder den letzten Barrel Öl fördern würden. Mit jedem Barrel Öl, das weiter gefördert wird, sinkt das Angebot und der Preis steigt. Das letzte Barrel Öl zu fördern, wäre so teuer, dass es nie gefördert wird. Irgendwann hören die Menschen einfach auf, Öl zu fördern. Das Spannende ist, dass der steigende Preis für Ressourcen ein Signal sendet, dass diese knapper werden. Gleichzeitig schafft er Anreize, weniger davon zu verbrauchen, effizienter damit umzugehen und Alternativen zu finden. Wir haben mit Holz geheizt, dann mit Kohle, dann mit Öl. Vielleicht wird Kernkraft uns eines Tages tatsächlich endlose Energie liefern. Durch den Preismechanismus erkennen wir, was knapp ist und die daraus folgenden hohen Preise schaffen Anreize, effizienter zu wirtschaften. Selbst Altruisten brauchen das Preissystem, um zu wissen, was knapp ist. Wenn der Preis für Kobalt nicht steigt, weiss ich nicht, ob es knapp ist. So hilft uns die Marktwirtschaft, mit Ressourcenknappheit umzugehen.  

Kritiker wie die sogenannten ökologischen Ökonomen oder Öko-Radikale lehnen die Marktwirtschaft jedoch ab, weil sie glauben, sie führe zu ökologischer Zerstörung. Sie argumentieren, dass mit Wachstum auch der Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß steigt. Ich glaube jedoch, dass dies nicht unbedingt stimmt. Wenn es uns gelingt, z.B. mit Kernfusion extrem viel Energie zu produzieren, ohne viele Ressourcen zu verbrauchen, wäre Wachstum unendlich möglich. Aktuell sehen wir sogar bereits, dass zusätzliches Wachstum weniger CO2-Ausstoß verursacht. So ist Deutschland in den letzten 20 Jahren um 17% gewachsen, während der konsumbasierte CO2-Ausstoß um fast ein Drittel gesunken ist. Diese Entwicklung findet jedoch nicht nur im globalen Norden statt. Nigeria ist zwischen 2005 und 2020 um 23% gewachsen und konnte seine Emissionen um 10% senken. Ich glaube, dass wir dies schaffen können, wenn wir weiterhin innovativ und kreativ sind und die richtigen Anreize setzen. 

Wie sollte eine gerechtere Verteilung der natürlichen Ressourcen und des daraus resultierenden Wohlstands zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern aussehen und wie könnte dies erreicht werden, ohne das globale Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen? 

Ökonomen werden zunehmend skeptisch gegenüber dem, was Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik wirklich leisten können. William Easterly hat in seinem Buch “The White Man’s Burden” anschaulich dargelegt, wie es dem globalen Norden in den letzten 200 bis 250 Jahren nicht gelungen ist, die Länder des globalen Südens durch Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig zu unterstützen. Ob Kolonialismus, Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit – diese Ansätze haben nie wirklich funktioniert. Was hingegen funktioniert hat, ist das Einführen von liberalen Institutionen und Fördern von wirtschaftlichem Wachstum. Dies zeigt sich besonders deutlich in China seit den 70er Jahren und in Indien seit den 90er Jahren, als diese Länder begannen, ihre Wirtschaft zu deregulieren, Privatisierungen durchzuführen und private Eigentumsrechte zu stärken. Leider sehen wir aktuell jedoch in China, dass die Einschränkung dieser Institutionen durch willkürliche und autoritäre Massnahmen dem Wirtschaftswachstum wieder schaden. 

Es ist zu einfach zu sagen, dass wir nur liberale Institutionen einführen müssen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies nicht immer funktioniert und es oft wirkt als neokolonial angesehen wird, wenn man versucht, solche Institutionen in den Ländern des globalen Südens aufzubauen. Deshalb sind Ökonomen skeptisch, ob man von außen überhaupt etwas tun kann oder ob diese Institutionen innerhalb der Gesellschaften des globalen Südens wachsen müssen. Externe Eingriffe führen oft dazu, dass die Bedingungen für die Menschen dort sogar noch schlechter werden. Eine Möglichkeit, die gut funktionieren kann, ist die Öffnung der Grenzen für Migration aus dem globalen Süden in den globalen Norden. Wenn es gelingt, Individuen aus dem globalen Süden in wohlhabende Länder wie Deutschland oder die USA zu bringen, können sie ihr Einkommen erheblich steigern – oft um das Zwei-, Drei- oder sogar Zehnfache. Gleichzeitig profitieren die Aufnahmeländer von Fachkräften, die dringend benötigt werden. Ein weiterer Ansatz, den ich sehr unterstütze, ist die Abschaffung der Entwicklungszusammenarbeit in ihrer jetzigen Form und die Umwandlung der Mittel in direkte Geldtransfers an die ärmsten Menschen der Welt. Individuen im globalen Süden wissen am besten, wie sie ihr Leben verbessern und wachsen können. Anstatt Gelder an korrupte Regime oder ineffiziente NGOs zu geben, sollten wir das Geld direkt den Menschen zukommen lassen. Da liberale politische Institutionen nicht einfach eingeführt werden können, ist es sinnvoller – überspitzt gesagt – den Menschen direkt Geld zu geben und darauf zu vertrauen, dass sie das Beste daraus machen. Natürlich gibt es keine perfekten Lösungen, und es wird Fälle geben, in denen das Geld nicht optimal verwendet wird. Doch selbst dann ist es besser, als die Menschen im globalen Süden paternalistisch zu behandeln. 

Welche ökonomischen Mechanismen wären wirksam, um einen Transfer von umweltfreundlicher Technologie in weniger entwickelte Länder zu fördern, ohne ihre eigenen Wachstumschancen zu beeinträchtigen? 

Das ist tatsächlich eine interessante Frage, die uns wieder zu der Diskussion über die stärkere Umverteilung vom globalen Norden in den globalen Süden führt, insbesondere im Hinblick auf Technologien. Oft folgt dies jedoch einer sehr naiven Vorstellung darüber, was wir überhaupt umverteilen können und wie diese Technologien von den Ländern im globalen Süden adaptiert werden. Das Scheitern der Entwicklungspolitik liegt nicht daran, dass die Menschen im globalen Süden weniger fähig sind, sondern daran, dass sie oft in extrem dysfunktionalen institutionellen Ordnungen leben, die häufig autoritär sind und in denen sie ausgebeutet werden. Viele dieser Länder haben immer noch Systeme, die von Sklaverei bis zu feudalen Strukturen reichen und die Menschen massiv benachteiligen. Es sollte klar sein, dass diese Länder nicht einfach unsere Technologien übernehmen und sich dadurch wirtschaftlich verbessern können. Die erfolgreiche Adaption von Technologien hängt stark von den institutionellen Rahmenbedingungen ab, wie starken Eigentumsrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Nur unter solchen Bedingungen können diese Technologien effektiv genutzt werden. Daron Acemoglu und James Robinson haben in ihrem Buch “Why Nations Fail” und in ihren wissenschaftlichen Arbeiten wiederholt beschrieben, dass man sich als Ökonom oft fragt, warum es nicht funktioniert, wenn wir den Menschen im globalen Süden einfach moderne Technologien zur Verfügung stellen. Warum nutzen sie beispielsweise nicht einen Traktor, sondern weiterhin den Pflug? Weil sie von den zusätzlichen Erträgen des Traktors nichts haben, da ihnen alles sofort wieder „weggenommen“ wird. Es bedarf also eines liberalen institutionellen Rahmens, um diese Technologien zu nutzen.  

Der zweite Punkt ist, dass Deutschland eine Vorbildrolle einnehmen sollte, indem es Technologien entwickelt, die für Regime und Menschen im globalen Süden attraktiv sind. Leider ist Deutschland derzeit kein Vorbild. Die Energiewende in Deutschland kostet Milliarden, wenn nicht Billionen, und wir haben kaum vorzeigbare Ergebnisse. Im Gegensatz dazu setzen andere Länder, sowohl im globalen Norden als auch im Süden, wieder vermehrt auf Atomkraft als zukunftsweisende Technologie. Deutschland verliert hier seine Vorreiterrolle, indem es sich von der Marktwirtschaft abwendet. Wir sollten zeigen, wie man mit marktwirtschaftlichen Lösungen diese ökologische Transformation schaffen kann, denn nur so werden diese Ansätze von anderen Ländern adaptiert.  

Ein dritter und konstruktiver Punkt wäre die Förderung stärkerer Freihandelsabkommen mit den Ländern des globalen Südens, insbesondere im Technologiebereich. Menschen aus dem globalen Süden sollten die Möglichkeit haben, hier zu studieren, zu arbeiten und zu lernen, um dieses Wissen dann zurück in ihre Heimatländer zu bringen. Der Technologietransfer zwischen Unternehmen in Deutschland und Zulieferern im globalen Süden sollte erleichtert werden. Das Lieferkettengesetz ist hier ein Beispiel für eine gut gemeinte, aber kontraproduktive Regelung, die die Kooperation einschränkt. Wir wollen mehr Kooperation mit dem globalen Süden, nicht weniger. Freihandel statt kontrolliertem Handel würde deutlich mehr helfen. Zudem könnte die Vereinfachung von Direktinvestitionen eine sinnvolle Maßnahme sein. Wenn es für deutsche Unternehmen einfacher wäre, in Hochtechnologieunternehmen im globalen Süden zu investieren, könnten die positiven Effekte neuer Technologien und Unternehmertums auch dort genutzt werden. 

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Justus Enninga ist Ökonom und Politikwissenschaftler. Er promoviert zur Wachstums- und Umweltökonomik am King’s College London und arbeitet als Redakteur für Wirtschaftspolitik bei The Pioneer und als Direktor Hekaton Cities beim liberalen Think Tank Prometheus. Er lebt und arbeitet in Berlin.