Sie sind seit vielen Jahren bei Lincoln International und leiten das Deutschlandgeschäft. Was hat Sie ursprünglich motiviert, im Investment Banking zu bleiben und was hält Sie bis heute daran fest?
Ich bin ins Investmentbanking gegangen, weil mich schon während des Studiums Themen wie Aktien und Übernahmeschlachten an der Börse fasziniert haben. Dass ich schließlich im Investmentbanking gelandet bin, war jedoch auch ein Glücksfall.
Als ich mit meiner Dissertation abschloss, war M&A noch eine sehr neue Disziplin. Bereits damals galt die Beratung bei Fusionen und Übernahmen als Königsdisziplin im Investment Banking. Allerdings interessierte sich seinerzeit kaum ein deutscher Absolvent für diesen Beruf. Dadurch konnte man in den 1990er-Jahren sehr schnell Karriere machen. Als deutscher Betriebswirt hatte man im Londoner Investmentbanking hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten – deutlich besser als in der Unternehmensberatung, die schon damals stärker umkämpft war.
Beförderungen im Investment Banking erfolgten damals relativ schnell. Irgendwann ging es mir beruflich so gut, dass die Opportunitätskosten für einen Wechsel in eine andere Branche zu hoch waren. Ein späterer Einstieg in Private Equity wäre zwar möglich gewesen. Aber da ich schon mit 35 Jahren Managing Director war und viel Verantwortung übernehmen durfte, wäre ein Wechsel mit großen Abstrichen verbunden gewesen.
Bei Lincoln bin ich jetzt genau 20 Jahre geblieben, weil ich unsere Firma in Deutschland mit aufgebaut habe und zudem Anteile am Unternehmen halte. Dadurch konnte ich nicht ohne weiteres zu einem Wettbewerber wechseln. Aufgrund meiner Unternehmensanteile bin ich an Lincoln gebunden. Aber rückblickend ist dies auch gut so – ich bin sehr glücklich, dass ich die einzigartige Entwicklung unserer Investmentbank in all dieser Zeit begleiten durfte.
Wenn Sie an Ihren Arbeitsalltag denken: Wie hat sich die Tätigkeit eines M&A-Beraters in den letzten Jahren verändert, und welche Aspekte machen Ihnen heute am meisten Freude?
Der Arbeitsalltag für junge Berufseinsteiger hat sich im Vergleich zu meiner Zeit deutlich verändert. Wer heute bei uns anfängt, arbeitet mit ganz anderen Tools: besserer IT-Ausstattung, Zugriff auf diverse Datenbanken und sogar mit einer unternehmenseigenen KI-Lösung. Damit lassen sich in kurzer Zeit sehr viele Informationen beschaffen und verarbeiten. Das war früher nicht annähernd so einfach.
Bei meinem Berufseinstieg in einer großen internationalen Investmentbank gab es weder E-Mails, noch Internet. Man musste teilweise in den Keller des Hochhauses gehen, um dort verstaubte Geschäftsberichte zu holen. Für Informationen, die unsere Analysten heute in wenigen Minuten zusammentragen, haben wir damals mehrere Wochen benötigt. Mit der fortschreitenden Digitalisierung unseres Geschäfts ist das Berufsbild des M&A-Beraters beim Einstieg heute deutlich spannender: Junge Mitarbeiter können sich viel früher mit interessanten, intellektuellen und analytischen Themen beschäftigen.
Hinzu kommt, dass es heute deutlich mehr Austauschmöglichkeiten gibt. Durch Video-Calls können junge Kollegen von Anfang an bereits bei wichtigen Gesprächen mit erfahrenen Managing Directors, Kunden oder Investoren dabei sein. Das öffnet viele Türen.
Gleichzeitig sind die Anforderungen gestiegen. Die Welt dreht sich schneller, Kunden erwarten mehr, und ältere Kollegen brauchen mehr Zuarbeit. Man muss ständig erreichbar sein, und die E-Mail-Flut reißt kaum ab. Als ich anfing, war das Arbeitsumfeld insgesamt deutlich entspannter.
Was früher vielleicht schöner war: Ohne Video-Calls hatten physische Meetings einen besonders hohen Stellenwert. Schon junge Mitarbeiter durften mit zu Kunden reisen, um im Nachgang der Meetings die Follow-up-Arbeiten besser bewältigen zu können. Das tun wir heute zwar immer noch, aber längst nicht mehr so häufig. Nach den ersten persönlichen Treffen läuft vieles über Video-Calls. Früher waren Juniors deutlich mehr unterwegs – und das hatte durchaus seine Vorzüge und Annehmlichkeiten.
Lincoln International hat sich unter Ihrer Führung stark entwickelt und im deutschen Markt etabliert. Wie hat sich das Unternehmen seit Ihrem Einstieg verändert, und was würden Sie sagen, zeichnet die deutsche Praxis heute besonders aus?
Als wir vor 20 Jahren mit Lincoln starteten, waren wir in Deutschland rund ein gutes Dutzend M&A-Berater und in den USA etwa 60. Wir waren eine feine, kleine Boutique mit Standorten in Frankfurt und Chicago und eröffneten parallel ein Büro in Paris. Damals waren wir noch wenig bekannt und kämpften um jedes Mandat, hatten jedoch bereits 2006 zwei entscheidende Trends erkannt.
Erstens, dass das M&A-Geschäft zunehmend global wird und dass spezialisierte, international aufgestellte Investmentbanken lokale Anbieter verdrängen würden. Diese Entwicklung hat sich bestätigt: Während früher auch Privatbanken wie die Commerzbank oder Deutsche Bank im M&A aktiv waren, spielen sie heute in unserem Geschäft nur noch eine untergeordnete Rolle. Unser globales Modell mit heute über 1.400 Mitarbeitern hat sich dagegen als erfolgreich erwiesen.
Zweitens erkannten wir früh die wachsende Bedeutung von Private Equity. Daher haben wir uns nicht nur international positioniert, sondern uns auch konsequent auf Private-Equity-Kunden und insbesondere auf Sell-Side-Mandate ausgerichtet. Das prägt bis heute unsere DNA. Auf dieser Basis sind wir in zwei Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen und gehören inzwischen zu den relevanten M&A-Investmentbanken weltweit.
Diese Entwicklung war anfangs nicht absehbar. Unsere „Success-Story“ verdanken wir vor allem engagierten Kollegen, die über viele Jahre mit viel Einsatz an unserem Wachstum gearbeitet haben. Heute stehen wir in Deutschland hervorragend da: Wir haben ein Rekordjahr, beschäftigen rund 130 Mitarbeiter und haben uns im vergangenen Jahr mit Übernahme des ehemaligen TCG-Teams im Technologiesektor deutlich verstärkt. Diese neuen Kollegen haben im laufenden Jahr zahlreiche große Tech-Transaktionen im Bereich Software, KI und IT-Services-Deals im mittleren und oberen dreistelligen Millionenbereich abgeschlossen.
Unsere Entwicklung vom kleinen Boutique-Haus zu einem globalen Player hat sich weltweit vollzogen. Wir konnten jährlich unsere durchschnittliche Transaktionsgröße und unser Fee-Volumen stetig steigern. Zudem haben wir als Lincoln im September des Jahres die US-amerikanische Investmentbank MarshBerry übernommen, so dass wir künftig auch sehr gut bei Transaktionen im Finanzdienstleistungssektor unterstützen können.
In den vergangenen Quartalen ist die Zahl der Transaktionen insgesamt zurückgegangen, während gleichzeitig mehr grossvolumige Megadeals zustande kamen. Viele sprechen von einer zunehmenden Polarisierung im M&A-Markt zwischen sehr grossen strategischen Transaktionen und einem zurückhaltenderen Mid-Cap-Segment. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und wie wirkt sich das auf die Arbeit von Lincoln aus, dass traditionell im Mid-Cap-Bereich stark verankert ist?
Die vergangenen zwei Jahre waren im europäischen Mid-Cap-Segment, insbesondere in Deutschland, eher enttäuschend. Die Anzahl der Deals war rückläufig, und es hat sich ein deutlicher Deal-Stau aufgebaut. Es fanden nur wenige Transaktionen statt, die Portfolio-Unternehmen von Private-Equity-Fonds werden immer älter, und Exits lassen sich schwerer realisieren. Die Euphorie im Markt fehlt. Zusätzlich hat die Zollpolitik von Donald Trump für Unsicherheit gesorgt; in einigen Verkaufsmandaten sind Businesspläne nicht mehr gesichert, weil die Zollpolitik die künftige Absatzentwicklung beeinflusst.
Wir gehen jedoch davon aus, dass das M&A-Geschäft im Mid-Market in den kommenden 12 bis 24 Monaten – insbesondere in Deutschland – deutlich anziehen wird. Intern rechnen wir mit rund 20 Prozent mehr Transaktionen im Mid-Cap-Bereich. Diese Zuversicht basiert auf dem aufgebauten Deal-Stau und der Tatsache, dass viele Private-Equity-Häuser ihre Portfolios nun verkaufen müssen. Auch Großkonzerne werden infolge von Aktionärsaktivismus und einer stärkeren Portfolio-Fokussierung vermehrt Non-Core-Assets abgeben. Die werden wichtige Treiber sein.
Zudem gibt es in vielen eigentümergeführten Mittelstands- und Familienunternehmen zunehmend Überlegungen, das Geschäft an die nächste Generation – oder auch extern – abzugeben, um zu diversifizieren. Viele Eigentümer erkennen, dass deutsche Familienunternehmen mit Milliardenumsätzen oder auch etwas kleineren Strukturen langfristig im globalen Wettbewerb nicht mehr auf reiner Standalone-Basis überleben können. Sie müssen sich einem größeren Wettbewerber anschließen – und diese Einsicht setzt sich zunehmend durch.
Der Verkauf eines Unternehmens galt in Familiengesellschaften lange als Zeichen von Niederlage oder Schwäche. Kulturell hat sich das in Deutschland jedoch verändert. Viele Familienunternehmen sprechen bereits aktiv mit uns und denken darüber nach, ihr Unternehmen in den kommenden Jahren zu verkaufen. Deshalb sind wir optimistisch, dass das Mid-Market-Geschäft anspringt. Das sind sehr gute Nachrichten – auch für junge Hochschulabsolventen, die in diese Branche einsteigen möchten.
Der Bedarf wird in den kommenden Jahren hoch sein. Wir selbst haben bei Lincoln allein in Deutschland in den letzten beiden Jahren jeweils zehn bis zwölf Analysten eingestellt, weil wir dort einen entsprechenden Bedarf sehen.
Parallel dazu nehmen Secondaries und Continuation Funds deutlich zu, gerade weil klassische Exits schwieriger geworden sind. Wie verändert das Ihre Rolle als Sell-Side-Advisor, wenn Käufer und Verkäufer zunehmend aus denselben Private-Equity-Ökosystemen stammen?
Secondaries und Tertiaries sind ein Phänomen, das wir in den USA schon seit zwanzig Jahren beobachten. Dort ist es schon seit je her völlig üblich, dass eine Portfolio-Gesellschaft eines Private-Equity-Hauses von einem Investor zum nächsten weitergereicht wird. In Deutschland beobachten wir mittlerweile einen ähnlichen Trend. Grundsätzlich versuchen wir für unsere Mandanten, für die uns anvertrauten Verkaufsmandate einen strategischen Käufer zu finden, der bereit ist, eine hohe strategische Prämie zu zahlen. Allerdings gibt es aber auch immer wieder Situationen, in denen unsere Kunden eine Lösung mit einem Finanzinvestor präferieren. Als Investmentbank gestalten wir unsere Verkaufsprozesse meist als Konzeptwettbewerb, bei dem wir sowohl Strategen als auch Private Equity ansprechen.
Das Thema Continuation Funds ist für uns in Deutschland vergleichsweise neu. Dafür ist spezielles Know-how erforderlich. Derartige Transaktionen können bei den Mandanten zu Interessenkonflikten führen, insbesondere bei der Frage, zu welchem Wert die bestehenden Portfoliounternehmen in einen Continuation Fund übertragen werden sollen. Dafür braucht es zusätzliche Bewertungsexpertise, Fairness Opinions und weitere Prüfmechanismen.
Wir haben diesen Trend in den USA früh erkannt und daher in London bereits vor über zwei Jahren ein entsprechendes Team aufgebaut und erweitert. Dieses Team hat inzwischen auch in Deutschland einige Continuation Fund-Transaktionen erfolgreich begleitet.
Nachhaltigkeit und Energieeffizienz werden zunehmend zu strategischen Deal-Treibern, gerade in Europa. Welche Rolle spielen ESG-Faktoren heute tatsächlich in der Bewertung und Auswahl von Targets? Und sehen Sie sie eher als Chance für Differenzierung oder als regulatorischen Hemmfaktor?
Das Thema ESG war vor einigen Jahren allgegenwärtig. Die Diskussion hat sich inzwischen etwas beruhigt, dennoch ist ESG für uns als M&A-Banker weiterhin ein fester Bestandteil der täglichen Arbeit. Beim Kauf oder Verkauf von Unternehmen prüfen unsere Mandanten sehr genau die ESG-Bilanz: Wie ist das Unternehmen aufgestellt, und wo bestehen mögliche Risiken? Wenn es Herausforderungen gibt, müssen diese im Vorfeld adressiert werden.
Unternehmen mit einer guten ESG-Bilanz stellen dies im Rahmen der Equity Story deutlich heraus. Vor allem der Environmental-Bereich bleibt wichtig. Wer hier gut aufgestellt ist, kann sich im Vergleich zu Wettbewerbern mit schwächerer ESG-Performance besser positionieren.
Es gibt tatsächlich Fonds, die sich auf ESG-Assets spezialisiert haben und ausschließlich in ESG-konforme oder ESG-affine Unternehmen investieren. Großkonzerne berücksichtigen zunehmend – neben finanziellen, strategischen und kulturellen Faktoren – auch, wie sich eine Übernahme auf ihre eigene ESG-Bilanz auswirkt: ob sie diese verbessert, verdichtet oder möglicherweise verschlechtert. ESG spielt also eine Rolle, sollte aber auch nicht überhöht werden.
Das Social-Thema verliert in den USA unter der neuen, zweiten Präsidentschaft von Donald Trump etwas an Bedeutung. Governance bleibt hingegen klar zentral. Investoren und insbesondere Großkonzerne achten zunehmend darauf, dass die Governance-Strukturen einwandfrei sind, da Verstöße gegen Gesetze mit hohen Strafen und erheblichen Nachteilen verbunden sind.
Sie haben über Jahrzehnte erlebt, wie sich M&A von einem stark netzwerkgetriebenen Geschäft zu einem daten- und prozessbasierten Handwerk entwickelt hat. Was ist für Sie heute der entscheidende Faktor, der über eine erfolgreiche Transaktion entscheidet (z.B. Prozesspräzision, Storytelling oder technologische Tools)?
Man muss bei einer M&A-Transaktion zwischen klassischen „Commodity“-Aufgaben und der taktischen Prozessführung unterscheiden. Um ein Unternehmen gut zu verkaufen, müssen zunächst die Grundlagen stimmen: Das Unternehmen muss professionell präsentiert werden – ähnlich wie beim Verkauf einer Immobilie, bei der das Foto idealerweise bei Sonnenschein entsteht. Dazu gehört ein sauber eingerichteter Datenraum, ein überzeugender Businessplan sowie gut vorbereitete Management-Präsentationen und Q&A-Sessions. Das Unternehmen soll insgesamt in einem positiven Licht erscheinen.
Zugleich braucht es eine präzise Einschätzung des Käuferfeldes. Wer ist der beste Kandidat? Wer hat eine hinreichende Financial Power, und wer kann einen hohen Preis rechtfertigen? Wer bietet Transaktionssicherheit und einen guten Cultural Fit? Ein gutes Verständnis potenzieller Kaufinteressenten ist hier unbedingt erforderlich.
Die eigentliche hohe Kunst des Sell-Side-Investmentbankings liegt jedoch in der Orchestrierung eines kompetitiven Bieterverfahrens. Wie viele potenzielle Käufer spreche ich an – viele oder wenige? Wie gestalte ich den Prozess dynamisch? Man kann pokern, Signale setzen, Exklusivität anbieten. Es gibt zahlreiche Spielarten, mit denen man Interessenten, die ein Asset spannend finden, gezielt gegeneinander in Wettbewerb bringt. Das ist der entscheidende Erfolgsfaktor – und oft der Grund, warum sich eine Investmentbank im Pitch gegen eine andere durchsetzt.
Rechnen können alle. Gute Präsentationen schreiben ebenfalls. Manche besitzen etwas mehr Industrieexpertise und können die Story überzeugender formulieren. Doch am Ende zählt das Prozessmanagement. Kunden wollen Investmentbanker, die wissen, wie man ein Unternehmen zum bestmöglichen Preis verkauft und Interessenten begeistert – ohne die Transaktionssicherheit zu gefährden. Es ist eine Gratwanderung.
Das M&A-Geschäft ist ein Handwerk, das man über viele Jahre hinweg mit konkreter Transaktionserfahrung lernen muss. Es reicht nicht aus, hier theoretische Bücher zu lesen oder spannende Vorlesungen an der HSG zu besuchen. Man lernt es nur durch Erfahrung – indem man viele Transaktionen begleitet und aus Fehlern wie aus guten Entscheidungen lernt. Ein guter Investmentbanker verfügt über umfangreiche Deal-Erfahrung und kann dann in jeder Situation auf Basis seiner „Lessons Learned“ hoffentlich die richtigen Entscheidungen ableiten.
Aktuell beobachten wir eine auffällige Dynamik im transatlantischen M&A-Markt. US-Investoren interessieren sich zunehmend für deutsche Hidden Champions, während deutsche Unternehmen in den USA vor allem Zugang zu Technologie und Skalierungsmöglichkeiten suchen. Trotz geopolitischer Spannungen wirkt diese Verbindung stabiler denn je. Worin sehen Sie die Gründe für diese Widerstandsfähigkeit?
Ich sehe hierin einen langfristigen Trend. Für deutsche Unternehmen, die im Ausland akquirieren wollen, sind die USA die wichtigste Target-Nation. Die Vereinigten Staaten sind die größte und weiterhin stark wachsende Volkswirtschaft der Welt. Trotz kurzfristiger Herausforderungen bleibt der US-Markt dynamisch und bietet große Absatzchancen und attraktive Margen. Für global agierende deutsche Konzerne führt daher kein Weg an einer starken Präsenz in den USA vorbei. Die America-First-Politik und aktuelle Zollkonflikte verstärken dies zusätzlich: Wer in den USA verkaufen will, muss vor Ort produzieren oder investieren. Greenfield-Projekte sind möglich, aber aufwendig – schneller geht es über Akquisitionen, wie sie DAX-Konzerne seit Jahren durchführen. Neu ist, dass nun auch größere Familienunternehmen vermehrt in den USA zukaufen. Dieser Trend wird sich weiter verstärken. Andere Regionen sind für deutsche Unternehmen weniger attraktiv: Europa stagniert, China ist schwer zugänglich, und Osteuropa, Russland, die Ukraine sowie UK gelten derzeit nicht als ideale Wachstumsmärkte. Für internationale Expansion bleiben die USA somit die zentrale Option.
Umgekehrt ist auch Deutschland für amerikanische Unternehmen attraktiv: größte Volkswirtschaft Europas, qualifizierte Arbeitskräfte und starkes Engineering-Know-how. Trotz aller Herausforderungen gilt Deutschland im Vergleich zu vielen europäischen Ländern als einer der attraktivsten Standorte und bleibt ein wichtiges Tor nach Osteuropa. Auch deshalb wird der M&A-Austausch zwischen den USA und Deutschland weiter zunehmen.
Für uns bei Lincoln ist diese Entwicklung ein Vorteil. Im Pitch fragen Mandanten häufig nach unserer Präsenz in den USA, da dort die potenziellen Käufer sitzen, die aufgrund ihrer hohen Börsenbewertungen bereit und in der Lage sind, höhere Preise für deutsche Targets zu zahlen. Hier können wir überzeugen: Wir sind global aufgestellt, aber unsere größte Stärke liegt in den USA – dort haben wir die meisten Mitarbeiter, das meiste Geschäft und das tiefste Know-how. Das verschafft uns in Deutschland einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Es gibt die Beobachtung, dass die Renditeerwartung steigt, je weiter das Target geografisch vom Käufer entfernt ist. Bei US-amerikanischen VCs, die in europäische Start-ups investieren, bedeutet das: Je grösser die Entfernung, desto höher die erwartete Rendite. Zeigt sich eine ähnliche Dynamik auch bei Grossinvestoren, die in Deutschland, Europa oder Polen nach geeigneten Targets suchen?
Wenn wir über Cross-Border-Transaktionen zwischen Deutschland und den USA sprechen, geht es meist um amerikanische Strategen, die deutsche Unternehmen erwerben möchten. Sie wollen damit den Vertrieb ihrer Produkte in Deutschland stärken, Zugang zu Endkunden gewinnen, Synergien realisieren und selbstverständlich eine hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielen.
Bei börsennotierten Unternehmen, die hoch bewertet sind, liegen die Kapitalkosten und damit auch die Renditeanforderungen höher als bei geringer bewerteten Unternehmen. Die Kapitalkosten einer Listed Company orientieren sich unmittelbar an ihrer Bewertung. Amerikanische Käufer achten daher besonders darauf, dass ein Target bereits zum Zeitpunkt der Akquisition eine gewisse Mindest-Profitabilität aufweist.
In Deutschland gibt es viele Unternehmen mit EBITDA-Margen von 10 bis 15 Prozent – Werte, mit denen man in Europa häufig zufrieden ist. Für amerikanische Käufer reicht das meist nicht aus. Der „heilige Gral“ liegt eher bei 20 Prozent EBITDA-Marge oder zumindest einer klaren Perspektive, diese Profitabilität innerhalb von wenigen Jahren zu erreichen. Unternehmen, die diesen Anspruch nicht erfüllen, werden in der Regel nicht weiter als attraktive Targets verfolgt.
Sie haben an der Universität Fribourg zum Thema Investor Relations von börsennotierten Schweizer Publikumsgesellschaften promoviert. Was hat Sie damals dazu motiviert, dieses Thema wissenschaftlich zu vertiefen, und inwiefern hat Ihnen die Promotion später im Berufsleben geholfen? Würden Sie jungen Menschen, die eine Karriere im Investmentbanking anstreben, heute noch empfehlen, einen Doktortitel anzustreben?
Während meines Studiums belegte ich das Vertiefungsfach Unternehmensfinanzierung bei Professor Böhmle und schrieb bei ihm eine Diplomarbeit zum Thema Investor Relations, die er sehr positiv bewertete. Er ermutigte mich anschließend, in diesem damals noch sehr neuen Themenfeld zu promovieren. Ich war jung, hatte Freude an der akademischen Arbeit und dachte mir: einen festen Job in der Wirtschaft kann ich später immer noch annehmen.
Glücklicherweise konnte ich die Promotion berufsbegleitend schreiben. Ich begann bei Ernst & Young in Bern, arbeitete dort zweieinhalb Tage pro Woche und nutzte die restliche Zeit für meine Dissertation. Das war eine großartige Zeit, zumal ich durch die Stundenabrechnung bei EY sehr gut verdient habe – teilweise mehr als Freunde, die in Deutschland bei der Deutschen Bank auf einer 100 Prozent-Basis eingestiegen waren. Die Promotion zog sich leider etwas hin, machte mir aber großen Spaß. Damals war ein Doktortitel noch deutlich angesehener, und ich war stolz, als ich ihn dann erhielt.
Anschließend startete ich bei Schroders in London, damals eine große internationale Investmentbank mit einem starken M&A-Geschäft. Meine erste Visitenkarte mit Stahlstich empfand ich als etwas Besonderes – allerdings ohne Doktortitel, da man diesen in England nicht abdruckte. Das frustrierte mich so sehr, dass ich mir dann privat eigene Visitenkarten drucken ließ. Der Titel war damals schon ein wenig prestigeträchtig und hat mir gerade in den frühen Jahren, auch beim Aufbau von Lincoln, geholfen. Mandanten verbanden damit Seriosität und überdurchschnittliche Genauigkeit und Einsatzbereitschaft.
Ob eine Promotion heute noch sinnvoll ist? Ich würde sie jedem empfehlen, der die Möglichkeit hat – idealerweise berufsbegleitend und mit einem praxisnahen Thema. Mehrere Jahre ausschließlich am Lehrstuhl zu verbringen, halte ich heute für weniger passend, da Unternehmen frühere Berufserfahrung und oft auch einen MBA erwarten. Eine Promotion neben dem Job vermittelt jedoch zusätzliche Fähigkeiten: sich schriftlich präzise auszudrücken und analytisch zu arbeiten. Außerdem ist es eine schöne Zeit, um Freundschaften zu vertiefen und noch etwas länger an der Uni zu bleiben.
Auch wenn der Doktortitel heute weniger Prestige hat, würde ich ihn jedem ans Herz legen. Persönlich bevorzuge ich Bewerber mit Doktortitel – auch wenn ich hier bei Lincoln von meinen Kollegen meist überstimmt werde. Am Ende sollte man den Titel vor allem für sich selbst machen. Es ist eine wertvolle Erfahrung und eine lohnende Herausforderung.
Was würden Sie jungen Talenten raten, die in den M&A-Bereich wollen? Welche Fähigkeiten zählen heute wirklich?
Ich würde empfehlen, sich frühzeitig um Praktika zu bemühen und sich nebenbei etwas mit dem Thema M&A zu beschäftigen. Man muss nicht tief in die Theorie einsteigen, aber ein grundlegendes Verständnis sollte vorhanden sein, da dies in Interviews zunehmend abgefragt wird. Ein guter M&A-Banker muss dabei keineswegs der Beste an der Universität sein. Gefragt sind vielmehr Allrounder: analytisch fähig, teamorientiert, kommunikationsstark und mit hinreichender sozial-emotionaler Intelligenz. Auch eine gewisse körperliche und mentale Belastbarkeit ist wichtig – man braucht Durchhaltevermögen und muss sich auch durch anspruchsvolle Phasen kämpfen können.
Wir suchen keine einseitigen, rein zahlengetriebenen Profile. Solche Kandidaten kann man nicht auf Kunden loslassen, denn unsere Mandanten verkaufen oft ihr Lebenswerk und erwarten eine sensible, sozial kompetente Betreuung. Jeder sollte daher ehrlich zu sich selbst sein und sich fragen: Bin ich bereit, in den ersten Jahren Vollgas zu geben? Interessiere ich mich für M&A, den Kapitalmarkt und Finanzzahlen? Bin ich flexibel, habe ich Social Skills, komme ich bei Menschen gut an? Wenn man diese Fragen bejahen kann, lohnt es sich, diesen Karriereweg engagiert zu verfolgen.
Wer hingegen sehr einseitig ist, sollte vielleicht eine andere Richtung wählen – jemand, der eher introvertiert ist, wäre eventuell etwa im Equity Research besser aufgehoben. Es gibt viele tolle Berufe, und jeder sollte ehrlich prüfen, ob er das Skill-Set mitbringt, das in unserer Branche für eine erfolgreiche Karriere erforderlich ist. M&A bleibt ein spannender Berufseinstieg: Man sieht viel, arbeitet früh mit Unternehmenseigentümern und CEOs zusammen und hat später zahlreiche Optionen – vom Wechsel ins Private Equity über Positionen in Großkonzernen bis hin zu Rollen wie dem Relationship Manager bei einer Großbank.
Das Berufsbild des M&A-Bankers wird es trotz Künstliche Intelligenz weiterhin geben. KI wird die Arbeit erleichtern, sie aber nie ganz ersetzen. KI kann gewisse Aufgaben übernehmen, aber nicht die emotionale und soziale Intelligenz des Investmentbankers ersetzen. Letztere ist in unserer Branche für eine erfolgreiche Karriere ganz wichtig.