Der Wirtschaftsrat der CDU, dem Sie als Präsidentin vorstehen, sieht sich selbst als Stimme der Sozialen Marktwirtschaft. Würden Sie das aktuelle Wirtschaftssystem als sozial bezeichnen? Was sind Massnahmen die Sie befürworten, um die Soziale Marktwirtschaft stärker zu fördern?
Die Soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, welche für Freiheit, Eigenverantwortung und fairen Wettbewerb steht. Damit ist sie die beste Lösung für die Herausforderungen von Globalisierung, demografischem Wandel und technischem Fortschritt. Wir stehen heute im Hinblick auf die Herausforderungen der Transformation und mit den Auswirkungen der Pandemie an einem ganz entscheidenden Wendepunkt, der nach meinem Dafürhalten einzigartig in der Deutschen Nachkriegsgeschichte ist.
Wenn es uns jetzt nicht gelingt, die richtigen Weichen zu stellen, dann werden wir Vieles von dem, was wir uns jahrzehntelang aufgebaut, erarbeitet und erwirtschaftet haben, aufs Spiel setzen. Dann wird das Versprechen von Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ verwässert und unser gesellschaftlicher Zusammenhalt Risse erhalten.
Der Staat hat während einer Pandemie die Chance seine Kernkompetenzen zu beweisen und zu zeigen, dass er krisenbeständig ist. Auch in Deutschland hat sich uns während der Covid-19-Pandemie ein durchsetzungsfähiger Staat präsentiert, der mit notwendigen Eingriffen daran arbeitet, eine Jahrhundertaufgabe zu bewältigen. Gibt es für Sie eine Grenze, die ein demokratischer Staat nicht überschreiten darf, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und wo liegt diese?
Für das Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung in der Aktuphase– und damit in der „Notfallmedizin“ – dürfen wir feststellen: die deutsche Politik hat das Meiste richtig gemacht. Dafür gab es keine Blaupause, es bestand unmittelbarer Handlungsdruck und Dank der soliden Finanzpolitik der vergangenen Jahre hatten wir – zumindest in Deutschland – eine gute Ausgangsposition. Unser oberstes Ziel muss es jetzt sein, die Wirtschaft zügig wieder auf Wachstumskurs zu bringen und die nach wie vor bestehenden und in weiten Teilen nicht gelösten Herausforderungen der Transformation zu bewältigen.
Unser Appell an die Politik: Wir müssen jetzt aufpassen, dass Krisenintervention nicht zur Dauermedikation wird! Wie bei Arzneimitteln kommt es bei den staatlichen Hilfen auf das Maß an: Zu hoch dosiert oder zu lange verabreicht, wird aus der Medizin ein Gift. Die Politik muss der Versuchung eines Ausgabenrausches widerstehen – mit einem Überbietungswettbewerb ruiniert man Staatsfinanzen. Darüber hinaus hat die Politik nicht nur die Verantwortung für das jetzt, sondern auch für die Zukunft und damit für die nachfolgenden Generationen!
Der Staat – vorübergehend nicht mehr Schiedsrichter, sondern Mitspieler – gehört zurück auf die Tribüne!
Durch die Hilfspakete der Regierung werden viele Unternehmen vor der Insolvenz gerettet. Zu diesen zählen allerdings auch sogenannte “Zombiefirmen”, also hoch verschuldete Unternehmen, die unfähig sind ihre Kredite abzuzahlen, welche durch die Staatshilfen am Leben gehalten werden. Wie beurteilen Sie diesen schwierigen Gegensatz zwischen volkswirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlichem Miteinander im Kontext der sozialen Marktwirtschaft?
Wir alle kennen das Schumpetersche Gesetz der schöpferischen Zerstörung: Die Wirtschaft muss an sich selbst den Anspruch haben, aus dieser Krise mit neuen Geschäftsmodellen wieder heraus zu kommen. Wir brauchen diese, um alle anstehenden Transformationsprozesse der Digitalisierung ebenso wie die des klimaneutralen Wirtschaftens zu bewältigen. Wir brauchen sie, um nach Überwindung der Corona-Krise auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zurückkehren zu können. Nur mit einer agilen Unternehmerschaft kann Deutschland ein leistungsfähiger Sozialstaat mit hoher Beschäftigung bleiben.
Nur so kann das Erhard’sche Versprechen „Wohlstand für alle“ auch nach der Corona-Krise weiterhin Bestand haben. Die Politik hat Sorge für die Rahmenbedingungen zu tragen, die den Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre Wachstumskräfte zu entfesseln und agil aber auch resilient im internationalen Wettbewerb bestehen zu können! Der Staat ist nicht der Versicherer aller Lebensrisiken. Wir brauchen eine Balance zwischen der Fürsorgepflicht des Staates und der Eigenverantwortung des Einzelnen. Staatliche Fürsorge darf marktwirtschaftliche Prozesse nicht außer Kraft setzen.
Die CDU spricht sich aktuell gegen ein Lieferkettengesetz aus. Befürworter dieses Gesetzes kritisieren jedoch die Problematik der Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Lieferketten stark. Ist es möglich, ohne gesetzliche Schranken, eine marktwirtschaftliche Lösung für diese Thematik zu finden?
Lassen Sie mich dieses Ansinnen anhand eines konkreten Beispiels aus der Textilwirtschaft erläutern: Die Herstellung eines einfachen weißen Oberhemdes durchläuft rund 140 Schritte – vom Baumwollfeld in den USA oder Asien bis es auf dem Bügel im Laden hängt. Und hier soll der mittelständische Textilunternehmer entlang der gesamten Lieferkette für das Handeln Dritter weltweit die Einhaltung aller Regeln dokumentieren und die Haftung übernehmen? Das ist doch absurd!
Darüber hinaus steht das Gesetz nicht nur für neue übermäßige und unnötige Bürokratie- und Haftungspflichten, für weltfremde Vorgaben, sondern auch für einen unabgestimmten nationalen Alleingang – allein zu Lasten der deutschen Wirtschaft.
Länder wie Norwegen, Schweden oder Marokko liefern zahlreiche Beispiele dafür, dass innovations- und technologieoffene Volkswirtschaften zu einer nachhaltig positiven Entwicklung beitragen. Inwiefern sehen Sie in diesem Kontext die Thematik des Kilmaschutzes mit dem Industriestandort Deutschland vereinbar?
Fest steht dabei mehr denn je: Effizienter Klimaschutz und nachhaltiges Wachstum sind keine Gegensätze, sondern müssen deutlich stärker als bisher miteinander in Einklang gebracht werden. Langfristige Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht nur ein Wirtschaftssystem, das nach marktwirtschaftlichen Kriterien aufgebaut ist, das externe Effekte wie Klimaschäden internalisiert und das über eine hohe Krisenfestigkeit verfügt.
Die gute Nachricht ist: Modernste Technologien deutscher und europäischer Unternehmen ermöglichen es bereits heute, Klimaschutz, Wirtschaftswachstum und Krisenbewältigung miteinander in Einklang zu bringen. Damit innovative Energie- und Klimatechnologien „Made in Germany“ zum Motor für Investitionen nach der Corona-Krise und nach dem Strukturwandel werden, brauchen wir aber jetzt – ganz dringend – einen ordnungspolitisch klar strukturierten und langfristig belastbaren Marktrahmen.
Wir brauchen weiterhin Technologieoffenheit und das Vertrauen in die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, bestmögliche Lösungen zu erarbeiten.
Nach über 15 Jahren geht im kommenden Jahr die Zeit mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin dem Ende zu. Wo sehen Sie ihre größten Erfolge in dieser Zeit und wo sehen sie Verbesserungspotenziale für die kommenden Jahre?
Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat Deutschland viel Ansehen und Respekt in Europa und in der Welt erworben. Die solide Finanzpolitik der vergangenen Jahre zeigt gerade jetzt in der Krise, dass wir weitaus resilienter aufgestellt sind als beispielsweise die Länder, welche in den vergangenen Jahren die erforderlichen Strukturreformen nicht durchgeführt haben. Angela Merkel hat das Land mit Besonnenheit durch die Finanzkrise geführt und dafür gesorgt, dass Europa diese gemeinsam bewältigt. Leider ist der CDU unter ihrer Führung der ‚Markenkern‘ abhandengekommen. Gerade in dieser Großen Koalition unter der deutlichen Mehrheit der CDU hätte ich mir an vielen Stellen mehr Standfestigkeit gegenüber dem Koalitionspartner gewünscht.