Auf LinkedIn schreiben Sie: “Gefährlich kann man nur sich selber werden“. Was meinen Sie damit?
Was ich damit meine ist, dass man die „Füße am Boden behalten“ muss und nicht zwei Schritte auf einmal gehen soll. Man ist in großen Teilen selbst für den eigenen Erfolg oder Misserfolg verantwortlich. Es gibt viele Menschen, die gerne andere für ihren Misserfolg verantwortlich machen.
Was nimmt Sie heute immer noch an Ihrem Job gefangen, dem Sie schon über mehrere Jahrzehnte nachgehen?
Letztlich sind es unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in diesem Umfeld engagieren. Man könnte behaupten, Bank sei langweilig oder immer dasselbe. In der Theorie mag das vielleicht richtig sein, aber die Praxis zeigt, dass dem eben nicht so ist. Allein schon darum, weil sich das Marktumfeld ständig verändert – gerade jetzt massiv. Vor sechs Monaten hätte niemand gedacht, dass bei kriegsähnlichen Zuständen die Rohstoffpreise in dieser Form durch die Decke schießen. Wenn man, wie ich, schon ein bisschen länger dabei ist und etwas Ähnliches schon gesehen hat, ist man nicht mehr so überrascht. Als ich 1987 den ersten Crash erlebt habe (gemeint ist der Börsencrash am sog. „Schwarzen Montag“ am 19. Oktober 1987, an dem z.B. der Dow Jones innerhalb eines Tages um über 22% fiel), war das natürlich auch für mich eine ordentliche Überraschung. Ich hatte mir bis dahin nicht vorstellen können, dass Wertpapiere in so kurzer Zeit so heftig an Wert verlieren können.
Wir haben für Morgen Stanley in Kontinentaleuropa eine einmalige Chance, trotz all dem Negativen, was der Brexit mit sich bringt, eine Wachstums-Story hinzulegen, Marktanteile zu gewinnen und unser Geschäft auszubauen. Wir haben die Mitarbeiterzahl mehr als verdoppelt und sind dabei noch nicht am Ende. Das ist insofern spannend, weil es eben auch ein Umfeld ist, das sehr international und divers ist. Das motiviert mich – und selbstverständlich auch viele Menschen außerhalb von Morgan Stanley – daran mitzuarbeiten.
Sie haben mit einer Lehre zum Bankkaufmann und einem Betriebswirtschaft-Studium angefangen. Was war als junger Mann Ihre Vision und Ambition für Ihre Karriere? Und was ist heute Ihre Mission?
Es wäre naiv oder überheblich zu behaupten, dass ich damals schon gewusst hätte, wo ich einmal „landen“ würde. Der entscheidende Faktor ist, dass man versuchen sollte, grundsätzlich das Beste zu geben und den Job zu finden, der einem Spaß macht. Man steigt als junger Mensch ins Berufsleben ein und durchläuft das im Prinzip 40 Jahre lang. Ich halte es für wenig zielführend und auch unrealistisch, so einen großen Zeitraum vorauszuplanen. Planen – auch langfristig – ist natürlich sinnvoll, aber ich für meinen Teil denke lieber nicht zu weit voraus, sondern packe das an, was in der nahen Zukunft vor mir liegt.
Die Schwierigkeit heutzutage liegt vielleicht auch in der Breite der Optionen. Früher war es einfacher: War der Vater Metzger, so wurde sein Sohn auch Metzger – stark vereinfacht gesprochen. Heute hast du die Chance, ganz unterschiedliche Dinge auszuprobieren – aber diese Vielzahl an Möglichkeiten kann auch sehr verwirrend sein und einen auf Abwege bringen. Es ist deshalb wichtig, sich selber zu fragen und zu analysieren, was zu einem passt. Ich bin der Überzeugung, dass man nur dann gut sein kann, wenn man für ein Thema brennt und richtig Spaß daran hat. Dann ist einem die extra Meile, die extra Stunde Arbeit oder die extra Aufgabe nicht zu schwer.
Finden Sie, dass der Arbeitsplatz in einer Bank heute genauso attraktiv für junge Leute ist, wie er es noch vor 10 oder 20 Jahren war?
Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen nach einem finanzorientierten Studium hier an und arbeiten sich über die Jahre in die Feinheiten des Bankwesens ein. Aber es gibt auch ein paar Quereinsteiger – wie mich – die über eine Banklehre oder einen ganz anderen Bereich zum Banking kommen. Unabhängig vom Ausbildungsweg unterscheidet uns stärker der „Spirit“, mit dem wir unterwegs sind. Einige erleben das Investmentbanking als „zu intensiv“, andere finden es auf Dauer nicht interessant genug. Einige gehen dann in die Privatwirtschaft oder machen die Erfahrungen, dass die Arbeit bei unseren Kunden auch ziemlich spannend sein kann. Viele Menschen wollen nicht ewig im gleichen beruflichen Umfeld bleiben, usw. Jede Personalfluktuation bedauern wir, aber wir betrachten das als notwendige und wichtige „Atemfunktion“ einer Firma.
Die persönliche Interaktion ist uns sehr wichtig, weil man dadurch ein aufeinander eingespieltes Team wird. Das heißt z.B., dass die Leute, die 5 – 10 Jahre miteinander arbeiten, sich sehr gut kennen und einander vertrauen. Darum können viel schneller Entscheidungen und Absprachen getroffen werden. Im Executive Board in New York liegt der Durchschnitt der Firmenzugehörigkeit bei mehr als 20 Jahren! So eine Zeitspanne kann man sich als junger Mensch, der ins Arbeitsleben startet, kaum vorstellen. Wechsel und Kontinuität sind beides gut zu bedenkende Karriereaspekte. Auch die Anforderungen an Mitarbeiter haben sich in den letzten 15 Jahren stark geändert: Digitalisierung, Technologisierung, IT- und Programmierfähigkeiten sind Kompetenzprofile, die es früher in dieser Form ja gar nicht gab.
Genauso hat sich das Setup der Banken verändert: Die meisten Banken, die früher große Bilanzen hatten und Bestandshalter von Wertpapieren waren, sind heutzutage zu Vermittlern von Risiken und Chancen geworden. An die Stelle der Finanzverwaltung ist heute doch eher ein Marktplatz getreten für die Beschaffung und Vermittlung von Eigen- und Fremdkapital.
Der Kampf um Talente in der Brache ist in den letzten Jahren immer intensiver geworden. Was müssen Banken generell anders machen, um langfristig Talente an sich zu binden und was unternimmt Morgan Stanley genau?
Die Sorge junger Menschen ist oft, viel Zeit zu investieren, aber ihre Arbeit nicht adäquat wertgeschätzt wird. Dieser Aspekt wird immer wichtiger und muss genau kalibriert werden. Auch das Zusammenspiel zwischen neuen und älteren Mitarbeitenden muss einer gewissen Überprüfung unterzogen werden. Welche Balance ist zwischen Erfahrungskompetenz und „frischem Denken“ zu finden? Müssen wir das manchmal verzerrte, zu glamouröse Bild vom Investmentbanking stärker korrigieren, damit nicht eine überzogene Erwartungshaltung den Joballtag schwierig macht? Wie können wir die Teamarbeit so gestalten, dass junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter relativ früh Kundenkontakte bekommen und weiterverfolgen? Hier nehmen wir wahr, dass jüngere Mitarbeitende uns darauf sehr gutes Feedback geben. Aufgrund der Corona-Beschränkungen gab es viel weniger Termine vor Ort beim Kunden, so dass wir junge Mitarbeitende in die digitalen Meetings problemlos mitnehmen konnten. Das ist eine großartige Möglichkeit von Anfang an dabei zu sein und auch sichtbar einen Prozess zu begleiten, für den man früher nur unsichtbare Hintergrundarbeit geleistet hat.
Talent Retention ist also ein wichtiger Punkt, der nicht nur für die Einstiegsgruppe, sondern für den gesamten Personalzyklus gilt. Wir arbeiten ebenso daran, die „gelebte“ Diversität innerhalb der Firma zu erhöhen, um ein möglichst breites, buntes, diverses Team zu haben, weil wir glauben, dass dadurch die Zufriedenheit, die Dynamik, die Ideen und die Ergebnisse besser werden.
Besonders Banken in den USA drängen ihre Mitarbeiter immer mehr dazu, wieder vom Büro aus zu arbeiten, obwohl gerade in der jetzigen Zeit alte Arbeitsmodelle hinterfragt werden und gerade bei jungen Menschen nicht mehr so viel Anklang finden. Erfordert ein „Client-facing“ Business Modell, wie das von Morgan Stanley, die Arbeit vom Büro aus oder gehen Sie auch hier neue Wege?
Wir haben in den letzten drei Jahren gelernt, dass virtuelles Arbeiten doch besser funktioniert, als ursprünglich angenommen. Ob es ideal ist, ausschließlich virtuell zu arbeiten, bezweifle ich. Bei Kunden, die man gut kennt, funktioniert es auch, über den Bildschirm Affirmation und Emotionalität zu vermitteln. Bei der Neukunden-Akquisition via Zoom ist es allerdings schwierig, Vertrauen aufzubauen und zu halten. Da es unser Ansatz ist, den Kunden nicht nur für ein einzelnes Projekt, sondern über einen umfassenden „Lebensabschnitt“ zu begleiten, benötigen wir persönliche Treffen und den Aufbau valider personaler Bindungen über das rein Objektive hinaus. Aber diese Bindungen werden hybrider, also persönlicher und virtueller Austausch. Die Flexibilität, auch mal ohne Krawatte ins Büro zu gehen, oder einen oder zwei Tage von zu Hause aus zu arbeiten, hat seinen Charme. Und man gewinnt Zeit, die man nicht für An- und Rückfahrt verliert – und kann diese Stunde(n) nutzen, um etwa Sport zu machen, intensiver komplexe Dinge zu durchdenken oder länger am Stück konzentriert zu arbeiten. Auf der anderen Seite halte ich ausschließliche Remote-Arbeit für nicht förderlich, weil man im Team eben auch andere Ideen hat, die über ein virtuelles Telefonat nicht entstehen.
Ich erinnere mich an Ihre Aussage in der Spring Week, als Sie meinten, dass zukünftig die sog. „Target-Universitäten“ oder „Elite-Universitäten“ nicht mehr den alleinigen Fokus bei ihrer Personal-Akquise bekommen werden. Was meinten Sie damit? Und glauben Sie, dass das auch konkrete Auswirkungen auf Morgan Stanley und dessen Recruitment Prozess hat?
In den USA war es früher so, dass über zwei Universitäten 90% unserer neuen Mitarbeiter rekrutiert wurden. Das hat sich heute allein schon darum geändert, weil wir eben nicht nur Mitarbeitende benötigten, die Ökonomie studiert haben, sondern auch welche, die beispielsweise IT studiert haben – und zwar an ganz anderen Universitäten. Über beide – und noch andere – Kompetenzstränge kann man heute bei uns Senior-Positions erreichen. Uns ist wichtig, dass man mit Kunden sprechen kann und auch eine emotionale Ebene findet, bei der es um Interessen und Hobbys geht, um Sport, Bildungsthemen oder was auch immer. Man wird nicht zum Trusted Advisor des Kunden, wenn man nur über Bankthemen reden kann. Umgekehrt bedeutet es, dass das Eintrittskriterium nicht mehr nur vom Schwerpunkt der universitären Fächern bestimmt wird, sondern auch soziale Kompetenzen von großer Relevanz sind.
Die Anzahl der M&A sind nach Covid-19 eingebrochen, haben sich aber schnell wieder erholt. Ähnlich erleben wir einen Einbruch nach Beginn des Krieges in der Ukraine und der steigenden Inflation. Denken sie, dass die M&A-Aktivitäten sich auch ähnlich schnell erholen?
Krieg und Pandemie sind nicht miteinander vergleichbar, obwohl beides natürlich starken Einfluss auf die Aktienmärkte hatte und hat.
Am Anfang führte die COVID-19-Pandemie zu einer Art Schocksituation, in der man nicht wusste, ob es überhaupt ein Impfmittel geben wird. Als die Impfstoffe doch sehr rasch eine Notfallzulassung bekamen, beruhigte sich die Lage an den Aktienmärkten relativ schnell und führte für uns in Europa sogar dazu, dass 2021 dank unserer Kunden in jeder Hinsicht ein Rekordjahr wurde.
Die Situation in der Ukraine hat uns natürlich auch überrascht und schockiert – und zu einer gewissen Zurückhaltung veranlasst. Im Ergebnis erleben wir gerade eine Portfoliosortierung, bei der das, was perspektivisch nicht mehr dazugehören soll, für den Weiterverkauf vorbereitet wird. Entsprechend gibt es eine Menge kleinerer und mittlerer Transaktionen, die für einige Werte auch eine Korrektur um 20% nach unten bedeuten. Das muss nicht ungesund sein, obwohl es zunächst zweifellos weh tut. Aber wir wissen ja inzwischen alle, dass die Börse weder eine Einbahnstraße ist, noch, dass es Garantien für eine positive Wertentwicklung gibt.
Wir sind eine Risikodrehscheibe: Als größter Aktienhändler der Welt kennen wir die größten Kapitalanleger auf der Equity- oder auf der Public-Seite. Mit diesen stehen wir im täglichen Dialog und analysieren das aktuelle Marktumfeld, überraschende Bewertungen und zu erwartende Entwicklungen. Diese Bewegungen sind für unser Geschäftsmodell ideal. Es geht darum, möglichst viel Wissen darüber zu entwickeln, wo man Wertpapiere herkriegt, wann man verkauft oder kauft, anstatt auf einem größeren Bestand zu sitzen und dann mit den Märkten rauf- und runterzufahren.
Wir gehen beim Ukraine-Krieg davon aus, dass es sich im wahrscheinlichsten Szenario um eine temporäre Situation handelt, ausgelöst durch ein Ereignis, von dem man geglaubt hat, dass es sehr unwahrscheinlich sei. Man muss sich klar machen, dass wir ein nachhaltig anderes Verhältnis zu Russland haben werden, mit weitreichenden Auswirkungen auf die Wirtschaft und die politische Lage. Es gilt ebenso, die Klima-Konversion der Wirtschaft zu beschleunigen und die Zusammenarbeit in Europa zu fördern. Auch in Deutschland sieht man aktuell in der politischen Opposition, dass man schneller vorankommt, als vor der Wahl. Das hat bei allem Elend in Osteuropa auch etwas Positives.
Wie schätzen Sie die langfristigen Folgen des Brexits in Europa auf die Finanzbrache ein? Wird Frankfurt oder Paris das neue Hub sein?
Frankfurt und Paris sind klare Gewinner. Das ist vielleicht noch nicht ganz so ausgeprägt, wie man es sich wünschen würde, weil es zwischen den einzelnen Ländern Europas und von Drittstaaten Vereinbarungen gibt, dass man die Dinge so belässt, wie sie vor dem Brexit waren. Diese Vereinbarungen sind jedoch meistens befristet und laufen irgendwann aus. Das heißt bestimmte Beratungsdienstleistungen müssen dann innerhalb der EU erbracht werden – und Großbritannien steht dann Außen vor. Historisch gesehen war der Finanzsektor nach London ausgelagert und es gibt noch genug Menschen, die denken und wollen, dass das weiterhin der Fall bleiben wird. Deshalb gibt es gerade ein gewisses Ringen – wie immer – um Details. Aber es ist klar, dass das Wachstum hier stattfinden wird. Wir haben in Frankfurt unsere Mitarbeitenden von ca. 150 Personen auf ungefähr 400 aufgebaut – und das ist noch nicht das Ende.