Welche Werte sind für Sie bei Ihrer Arbeit bei Cevian Capital von grundlegender Bedeutung?
Wir wollen in Unternehmen investieren, die gut und solide sind, aber besser sein könnten, als sie heute sind. Solche Unternehmen wollen wir dann verbessern. Das ist der Kern unserer Strategie. Sich Unternehmen zuzuwenden, die sich in den Branchen, in die wir investieren wollen, durch eine Reihe von Massnahmen weiterentwickeln könnten und bei denen Verbesserungspotenzial besteht. Dabei kann es sich um strategische, strukturelle, operative oder führungsbezogene Veränderungen handeln. Das sind die vier Bereiche, auf die wir uns konzentrieren. Was bedeutet es, ein Unternehmen zu verbessern? Für uns geht es nicht darum, das äussere Erscheinungsbild des Unternehmens zu ändern. Es geht vielmehr darum, die Grundlagen des Unternehmens zu stärken. Sicherzustellen, dass die Produkte und Dienstleistungen attraktiv sind und von Kunden gefragt sind. Das treibt Wachstum an, was für Aktionäre und andere Stakeholder wertvoll ist. Es handelt sich also um einen fundamentalen, nachhaltigen Ansatz. Und das steht im Gegensatz zu dem, was häufig auf dem Kapitalmarkt zu sehen ist. Nämlich einem übermässigen Fokus auf Quartalsergebnisse und kurzfristige Performance.
Was war Ihre persönliche Motivation, sich nicht auf Unternehmen zu konzentrieren, die bereits ein felsenfestes Wachstumspotenzial haben, sondern sich aktiv an Unternehmen zu beteiligen, die in der Vergangenheit oft Fehlentscheidungen getroffen haben oder durch Optimierung noch wertvoller werden könnten?
Das geht zurück auf den Anfang meiner Karriere nach meinem Studium an der Stockholm School of Economics. Während eines Austauschjahres in den USA habe ich viel über Corporate Governance und Leveraged Buyouts gelesen. Damals gab es das Wort Private Equity noch gar nicht, sondern es wurde einfach Leveraged Buyouts genannt. Als ich nach Schweden zurückkam, habe ich mich dann bei einem Unternehmen namens Nordic Capital beworben. Die Branche war in Skandinavien damals völlig neu, und das Unternehmen war gerade erst gegründet worden. Meine erste Aufgabe dort war es, das Schild mit der Aufschrift Nordic Capital eigenhändig an die Tür zu hängen. In den ersten fünf Jahren bestand Nordic Capital nur aus den beiden Gründern und mir, und wurde dann später zu dem, was man heute eine Private Equity Firma nennt. Wie sie wissen, geht es bei Private Equity vor allem darum, Unternehmen zu kaufen, denen man zu einem Wertzuwachs verhelfen kann und genau das habe ich in dieser Zeit gelernt. Als ich dann meinen heutigen Geschäftspartner kennenlernte, hatten wir die Idee, diesen Ansatz auf Public Markets anzuwenden, weil wir diese Märkte als recht unberechenbar und kurzfristig orientiert sahen, und darin die Geschäftsmöglichkeit erkannten, einen Private Equity-Ansatz auf börsennotierten Unternehmen anzuwenden. Es gab also eine Art Marktlücke. Public Markets sind häufig kurzfristig ausgerichtet, und nur wenige Aktionäre verhalten sich als Eigentümer und engagieren sich wirklich. Man denkt kurzfristig, wo der Aktienkurs in einem halben Jahr sein wird, anstatt sich zu fragen, wie hoch der Wert des Unternehmens in fünf oder zehn Jahren sein könnte. Wir dachten damals, dass wir mehr Wert schaffen könnten, wenn wir einen Fonds auflegen und ihn als Eigentümer führen und dabei längerfristig denken, als dies bei einer passiven Strategie der Fall ist.
Ich glaube, keine andere bekannte Investmentgesellschaft arbeitet vergleichbar mit Ihnen.
Nicht viele, das ist richtig. Schauen Sie sich die Kapitalmärkte insgesamt an. Vor dem 2. Weltkrieg gab es viele Unternehmen, die sich im Besitz der Gründer befanden. Seit den 60er und 70er-Jahren kamen diese Unternehmen mehr und mehr in den Besitz von institutionellem Kapital. Warum war das so? Weil das institutionelle Kapital wuchs, vor allem durch Rentenreformen und andere Massnahmen. Ein wachsender, heute sogar mehrheitlicher Anteil dieses Kapitals ist passiv angelegt. Eine Konsequenz davon war eine schlechtere Überwachung der Unternehmensführung durch die Eigentümer. Das wiederum hat dazu geführt, dass manche Unternehmen einen falschen Weg eingeschlagen haben. In solchen Situationen fehlt das Korrektiv, wenn Manager zuerst an ihr eigenes Wohl anstatt an jenes des Unternehmens denken. Diese Lücke versuchen wir zu füllen, genauso wie Private Equity versucht, diese Lücke auf der privaten Seite zu füllen, indem es eine Eigentümerrolle bei privaten Unternehmen übernimmt.
In diesem Jahr feiert Cevian Capital sein 20-jähriges Bestehen. Was waren einige der wichtigsten Lektionen, die Sie in dieser Zeit gelernt haben? Und was könnten andere von ihnen lernen?
Ein zentraler Punkt ist für uns das Lernen. Das war auch die Basis für die Gründung von Cevian. Wenn man seine Hausaufgaben macht, sich auf etwas einlässt, an etwas glaubt und Überzeugung dafür hat, dann kann man sich darauf ganz gut verlassen. Das kann man auch dann nutzen, wenn es dem widerspricht, was andere Menschen denken oder wollen. Man kann ein Herausforderer sein und sollte den Mut haben, ein Herausforderer zu sein. Manchmal ist das aber auch sehr schwierig, weil man vielleicht Gegenwind hat. So war das zu Beginn unserer Arbeit. Wir hatten das Establishment gegen uns und man hat versucht, uns in verschiedene Schubladen zu stecken, in die wir nicht gehörten. Manche sagten damals, wir seien „kapitalistische Aktivisten“die kurzfristig in ein Unternehmen einsteigen und Geld aus ihm herausholen wollen – sie wollten uns mit solchen unwahren Bezeichnungen fernhalten. Ein weiterer Punkt ist, dass wir bei fast jedem Unternehmen, in das wir investieren, eine andere Meinung über die generelle Ausrichtung des Unternehmens haben als die amtierende Geschäftsführung. Natürlich ist es nicht leicht, für eine solche Meinung einzustehen. Man muss seine Hausaufgaben machen, und man darf nicht schlampig sein. Alle Grundlagen sollten abgedeckt sein, und man muss verstehen, worüber man spricht. Wenn man weiss, wovon man spricht, und dies auf eine durchsetzungsfähige, aber konstruktive Weise tut, dann kann man oft erreichen, was man will und sich dabei Respekt verschaffen. Wenn man sich also Schwierigkeiten stellt, erhält man auch Respekt dafür. Ich bin der Auffassung, dass sich das auf viele Menschen und Situationen übertragen lässt. Sie als Student, denken Sie darüber nach: Was will ich tun oder wie will ich es tun? Sie sollten Antworten nicht als gegeben hinnehmen. Denken Sie darüber nach, was das Richtige ist. Denn das Richtige zu tun, ist unglaublich befriedigend. Das hat auch viel damit zu tun, sich auf seinen Instinkt zu verlassen, was enorm wichtig ist. Man kann und sollte diese innere Stärke aufbauen.
Um auf das passive Kapital zurückzukommen, das Sie bereits erwähnt haben, wir können feststellen, dass Indexfonds vor allem bei der jüngeren Generation beliebt sind. Was würden Sie jüngeren Menschen sagen, die bisher hauptsächlich in Indexfonds investieren? Würden Sie sie ermutigen, die Kapitalmärkte und börsennotierte Unternehmen anders zu betrachten?
Meine Meinung zu Indexfonds ist differenziert. Ich denke, sie haben eine ganze Reihe von Vorteilen, weil sie eine Investitionsmöglichkeit für viele Menschen zu niedrigen Kosten bieten. Es gibt aber auch viele Fonds, die vorgeben, gut in der qualitativen Auswahl von Aktien zu sein und aufgrund einer Analyse entscheiden, in welche Unternehmen sie investieren. Häufig sind es jedoch blosse „Indexanhägern“. Sie bringen keinen grossen Mehrwert, aber sind teuer. Ich glaube an einen Kapitalmarkt, auf dem es einerseits billige Indexfonds geben muss und andererseits aktiv gemanagte Fonds, die ihren Investoren einen überdurchschnittlichen Wertzuwachs bringen aufgrund ihrer Aktienselektion. Alles, was dazwischen liegt, bietet keinen Mehrwert. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es hängt davon ab, was Sie mit Ihren Investitionen erreichen wollen. Zunächst einmal werden Sie als Studierender nicht so viel Geld zur Verfügung haben. Es ist mehr eine Frage des Testens und Lernens. Und wenn Sie lernen wollen, halte ich es für sinnvoll, zu versuchen, ein paar Unternehmen zu verstehen und etwas Geld in diese zu investieren. Aber man sollte die Grundlagen der Unternehmen begreifen. Das Wichtigste ist, ein Bild davon zu haben, wie das Unternehmen Ihrer Meinung nach in Zukunft aussehen wird. Wo wird dieses Unternehmen Ihrer Auffassung nach in fünf oder zehn Jahren stehen? Denken Sie längerfristig und beachten Sie dabei verschiedene Szenarien. Treffen Sie Annahmen auf der Grundlage einer Branchenanalyse. Letztlich können Sie Ihre Analyse aber nicht vom Aktienkurs abkoppeln. Manchmal müssen Sie einsehen: Den derzeitigen Preis für dieses Unternehmen zu zahlen, ist nicht sinnvoll. Verstehen Sie demzufolge zum einen die Zukunft eines Unternehmens und zum anderen den Unterschied zwischen Wert und Preis. Wenn der Preis niedriger als der Wert ist, sollten Sie investieren, aber niemals andersherum. Viele Menschen sind in gewisser Weise einfach Trendfolger. Sie wollen in das investieren, was schon erfolgreich ist, und nicht in das, was in der Zukunft erfolgreich sein könnte. Wenn man diesen Ansatz wählt, investiert man möglicherweise in eine Blase. An der Universität lernt man in der Mikroökonomie, dass, wenn der Preis steigt, die Nachfrage sinken sollte. Aber an der Börse ist oft das Gegenteil der Fall. Wenn ein Kurs steigt, denken viele Anleger, dass sie die Aktie kaufen sollten. Vergleichen Sie es mit einer Tasche von Louis Vuitton oder Chanel. Die Leute denken: Je höher der Preis, desto besser das Produkt – aber oft ist das nicht der Fall.
Kehren wir zu den Indexfonds zurück. Seit Jahren erleben wir einen exponentiellen Anstieg der ETF-AUM. Dahinter stehen oftmals grosse Investoren wie BlackRock oder Vanguard. Inwieweit sollten diese Anleger, die oft erhebliche Anteile an vielen Unternehmen weltweit halten, aktiver an der Wertsteigerung des Investments arbeiten? Sowohl im Hinblick auf den Wert für die Aktionäre als auch auf den Wert für andere Interessengruppen wie die Gesellschaft, die Umwelt und die Arbeitnehmer?
Wenn ich darüber spreche, dass Indexfonds gut für Anleger und in gewissem Sinne auch für die Gesellschaft sind, dann sage ich das wegen der geringen Kosten. Aber es gibt ein grosses Problem damit, wie diese Investmentgesellschaften geführt werden. Viele passive Fonds wissen nicht, was die Unternehmen, in die sie investieren, überhaupt tun. Sie besitzen Anteile an Abertausenden von Unternehmen und es ist für sie unmöglich, sich so zu engagieren wie jemand, der sein ganzes Herz und Vermögen in ein einziges Unternehmen oder einen Fonds mit etwa zehn Positionen steckt. Die Arithmetik ist einfach gegen sie. Es gibt keine Möglichkeit, sich zu engagieren, sondern sie haben meistens nur Richtlinien und Kästchen zum Ankreuzen, die sie auf alle ihre Unternehmen anwenden, ohne wirklich zu hinterfragen, ob das sinnvoll ist oder nicht. Sie stellen tonnenweise Leute ein, um dieses Problem zu vermeiden und ihre Unternehmen zu verstehen. Aber, wie gesagt, die Arithmetik ist gegen sie. Sie sind besser als früher, aber sie sind noch lange nicht gut genug, um als verantwortungsvolle Eigentümer zu agieren.
Insbesondere ESG-Themen werden für viele Investoren und passive Kapitalmärkte immer wichtiger. Hoffen Sie, dass Ihre Initiative zur Verknüpfung der Managementvergütung mit ESG-Zielen, die Sie Anfang des Jahres gemeinsam mit Allianz Global Investors ins Leben gerufen haben, weitere Unterstützer findet und Unternehmen dazu ermutigt, Nachhaltigkeit als grundlegenden Bestandteil der Wertschöpfung zu betrachten?
ESG ist wichtig. Es ist essenziell für die Gesellschaft, aber auch für jedes einzelne Unternehmen, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Für Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre ist es relevant, dass das Unternehmen, mit dem sie zu tun haben, sich ethisch korrekt verhält. Daher ist es gut, dass ESG-Themen ein wichtiger Faktor geworden sind. Das Problem mit ESG ist jedoch die grosse Menge an “Box-Ticking” und “Greenwashing”, wo der Fokus darauf liegt, das zu tun, was richtig scheint, und nicht das, was wirklich richtig ist. Vor allem Umweltziele sind langfristige Ziele, und man muss Pläne aufstellen, wo man im Jahr 2030 oder 2040 stehen will. Das Problem bei diesen Plänen ist, dass die Ziele so weit in der Zukunft liegen. Das hat den Effekt, dass das Management, das diese Pläne umsetzen soll, nie zur Rechenschaft gezogen werden kann. Wir wollen deshalb klare Ziele, die transparent sind, die auf Fakten beruhen und die man aufschlüsseln kann. Indem man klare Zwischenziele festlegt, kann man Manager für die Erfüllung der notwendigen ESG-Ziele verantwortlich machen. Nehmen Sie zum Beispiel die Dekarbonisierung bis 2030 und schlüsseln Sie sie dann auf. Wann und welche Meilensteine wollen Sie auf dem Weg zur CO2-Neutralität erreichen? Diese Drei- oder Fünfjahresziele können dann leicht mit dem Vergütungssystem kombiniert werden.
Andererseits hält Cevian beispielsweise immer noch Investitionen in der Stahlindustrie, die offensichtlich weit davon entfernt ist, klimaneutral zu sein. Widerspricht das nicht dem Ansatz, in Unternehmen zu investieren, die Wert auf ESG-Ziele legen?
Es gibt keinen Widerspruch zwischen ESG und Investitionen in Stahl oder Waffen. Ich betrachte dies in Bezug auf das, was die Gesellschaft braucht und was ich selbst benutze. Ich fahre ein Auto, ich wohne in einem Gebäude, das einen ökologischen Fussabdruck hinterlässt, und ich möchte in einem Land leben, in dem es keinen Krieg gibt. Deshalb braucht es Autos, Baustoffe und Verteidigungsausgaben. Darum halte ich diese Bereiche nicht per se für problematisch. Ich denke, wir können daran arbeiten, den negativen Fussabdruck, den Stahl oder Baumaterialien auf die Umwelt haben, zu verringern. Aber einfach zu sagen, man investiert nicht in diese Sektoren, ist nicht konstruktiv. Konstruktiver ist es, zu versuchen, diese Unternehmen zu verändern und zu verbessern. Dennoch gibt es Branchen, in die wir nicht investieren. Und das sind Branchen, die mit Sucht zu tun haben. Zum Beispiel die Tabakindustrie.
Bisher haben Sie mit Investitionen in Technologiewerte wenig Aufsehen erregt. Dabei waren es in den letzten Jahren oft die Aktien, die stark zugelegt haben. Sehen Sie derzeit zu wenig Optimierungsbedarf bei einzelnen Unternehmen in diesem Sektor?
Wir müssen uns fragen, in welchen Unternehmen wir eine Rolle als engagierte Aktionär spielen können. Nehmen wir ein Biotech-Unternehmen als Beispiel. Ein neues Molekül in der klinischen Entwicklung kann wirksam sein oder nicht. Wir von Cevian können daran nichts ändern und können das Unternehmen daher auch nicht verbessern. Nehmen Sie stattdessen ein etabliertes Unternehmen wie z.B. ABB oder Siemens. In diesem Fall handelt es sich um fundamental gute Unternehmen, die mit der Zeit etwas zu schwerfällig geworden sind. Nicht mehr sehr unternehmerisch, zu kompliziert aufgestellt und zu wenig innovativ, um weiter zu wachsen. Wir bei Cevian verstehen es als unseren Ansatz, das zu ändern, indem wir versuchen, einem Unternehmen wieder Unternehmergeist zu verleihen. Wir schrecken jedoch nicht vor neuen Technologien zurück. ABB, eine bedeutende Beteiligung für uns, hat fantastische Technologien. Und Ericsson, wo wir der zweitgrösste Aktionär sind, ist führend in modernsten Technologien wie 5G-Netzwerken. Wenn man sich ganz neue und aufstrebende Technologieunternehmen ansieht, ist das ein Sektor, in den wir normalerweise nicht investieren, auch wenn wir nichts per se gegen diesen Sektor haben.
ThyssenKrupp ist eine weitere interessante Investition, denn Sie haben 50% Ihrer Anteile veräussert, und ich glaube, es war eine der wenigen Investitionen, die Sie mit einem Verlust verkauft haben, richtig? Unsere Frage lautet: Sie haben so lange versucht, einen Wandel herbeizuführen, und natürlich hat es Veränderungen gegeben. Es hat sich einiges getan bei ThyssenKrupp Elevator. Aber insgesamt würden wir behaupten, es ist nicht alles passiert, was Sie sich wahrscheinlich gewünscht hätten. Was würden Sie sagen, war das Problem im Fall ThyssenKrupp?
Zum Zeitpunkt des Investments dachten wir, dass wir uns mit der Geschäftsführung über eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens einig waren. Mit der Zeit haben wir dann verstanden, wie stark die Unterschiede in den Ansichten wirklich waren, und zwar nicht nur am Rande, sondern in Bezug auf die Kernfrage, wie das Unternehmen zu leiten ist. Das Prinzip der früheren Führung von ThyssenKrupp war zu versuchen, Synergien zwischen dem Bau von Zementfabriken, dem Bau von Aufzügen, der Stahlproduktion und dem U-Bootsbau zu erzielen. Eine solch breit angelegte Strategie erschafft einen sehr, sehr komplexen Konzern. Und diese komplexen Konzerne funktionieren nicht in einem globalen Umfeld, in dem sich alles immer schneller entwickelt. ThyssenKrupp hat sich zu langsam bewegt und den Rückstand gegenüber der Konkurrenz nie aufgeholt, die Gewinne lagen durchwegs unter der Hälfte derer der Wettbewerber. In einer solchen Situation mit einer falschen Struktur, einer mangelhaften Strategie und massiven Leistungsdefiziten Veränderung generell abzulehnen, war höchst problematisch. Es gab eine Art unheilige Allianz, die versucht hat, ThyssenKrupp so zu belassen, wie es war, obwohl es für alle Stakeholder – Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre – schlecht war. Das klare gemeinsame Ziel muss sein, das Unternehmen zu stärken und voranzutreiben.
Interessant ist, wie Sie während Ihrer Investitionen mit den Medien interagieren, denn bei manchen Investitionen hat man das Gefühl, dass Sie nur mit der Geschäftsführung kommunizieren. Es gibt nicht viele öffentliche Informationen oder Artikel darüber, was sie ändern sollen. Aber manchmal, z. B. bei ThyssenKrupp, sehen wir ein grosses öffentliches Engagement, bei dem Sie versuchen, andere Aktionäre zu gewinnen oder die Medien zu verwenden, um die Menschen von Veränderungen, die es geben sollte, zu überzeugen. Wie würden Sie den Entscheidungsprozess beschreiben, wann Sie die öffentlichen Medien nutzen, um Druck auf das Unternehmen auszuüben und wann nicht?
Normalerweise treten wir in den Verwaltungsrat eines Unternehmens ein, arbeiten mit den anderen Mitgliedern und der Geschäftsführung zusammen und sorgen so für Veränderung, die von innen heraus umgesetzt wird. Es gibt aber auch Situationen, in denen wir nicht im Verwaltungsrat sitzen oder eine andere Meinung haben. Und wenn Sie das Beispiel ThyssenKrupp nehmen, das Sie gerade erwähnt haben, dann war uns klar, ein Wandel war notwendig. Aufgrund der schwachen Unternehmensführung hatten wir in dieser Situation einfach das Bedürfnis, anderen Leuten klarzumachen, wie schlecht es um ThyssenKrupp bestellt war, und dadurch Druck auf Veränderungen auszuüben, was auch gelungen ist. Aber es geht nicht darum, antagonistisch zu sein, nicht darum, aggressiv zu sein, und es geht nicht darum, Dinge zu personalisieren. Es geht darum, Fakten darzulegen, denn ich denke, Fakten sind das Wichtigste.
Vor allem, weil man als normaler Investor wahrscheinlich nicht den Überblick hat, den man als Verwaltungsrat hat. Es ist also immer interessant, einen anderen Ansatz zu sehen.
Leider bestehen Verwaltungsräte nicht immer nur aus den engagiertesten Leuten. Es ist interessant, wie viele Verwaltungsräte börsenkotierter Unternehmen ziemlich dysfunktional sind, wenn man sie mit denen von privaten Unternehmen, der Geschäftsführung oder mit irgendetwas anderem im Unternehmen vergleicht. In den Verwaltungsräten von Unternehmen geht es manchmal recht politisch zu, und die Leute kümmern sich mehr um ihren eigenen Ruf als um das Interesse des Unternehmens.
Würden Sie sagen, dass die Vorschriften geändert werden sollten oder dass es zum Beispiel mehr Regeln geben sollte, an die sich die Verwaltungsratsmitglieder halten müssen?
Nicht mehr Regeln. Aber wenn Sie Deutschland als Beispiel nehmen: Viele Aufsichtsratsmitglieder verstecken sich hinter ihrer Interpretation der Gesetzgebung. Sie fühlen sich nicht wirklich für das Unternehmen verantwortlich, sondern sagen: Wir überwachen lediglich, wir sind nicht proaktiv, wir können nur reaktiv sein. Das ist problematisch. Aber auch ausserhalb Deutschlands sehen viele Verwaltungsräte ihre Rolle eher als eine ehrenamtliche Aufgabe und haben das Gefühl, sie können das Management ein wenig beraten. Ich erwarte von Verwaltungsratsmitgliedern, dass sich jeder Einzelne für die Richtung des Unternehmens verantwortlich fühlt. Ich höre zum Beispiel viele Verwaltungsratsmitglieder das Wort “sie” statt “wir” benutzen, wenn sie über das Unternehmen sprechen. Sie sprechen über die schlechten Strategien des Unternehmens, anstatt sich stärker zu engagieren und sicherzustellen, dass sich etwas verbessert. In den 25 Jahren, in denen ich in Verwaltungsräten bin, hat sich dennoch schon viel verändert. Damals herrschte noch mehr Selbstgefälligkeit, heute sind die Verwaltungsräte allgemein professioneller geworden. Auch wenn es weiterhin Bedarf an mehr Engagement gibt.
Eine weitere Sache, die wir sehr interessant fanden, ist die Beziehung zu Ihrem Mitbegründer Christer Gardell. Er wird in Artikeln und anderen Veröffentlichungen oft als aggressiv charakterisiert. Sie hingegen werden immer als eher ruhig dargestellt. Wie lässt sich dieses Verhältnis beschreiben?
Nun, ich würde nicht sagen, dass es negativ ist, wenn Menschen unterschiedlich sind. Wir berücksichtigen das auch, wenn wir ein Team zusammenstellen. Sei es in Bezug auf die Persönlichkeit, des Geschlechts, die Herkunft oder des beruflichen Hintergrunds. Ich glaube an Diversität. Auch Christer und ich haben gemeinsame Eigenschaften. Wir denken in vielen Situationen ähnlich. Allerdings unterscheiden wir uns in unseren Stilen und Persönlichkeiten, was durchaus hilfreich ist. Wir haben angefangen zusammenzuarbeiten, weil wir uns gegenseitig schätzen und uns gut kennen. Wir haben konstruktive und offene Diskussionen. Relevant ist, dass wir in diesen 20 Jahren bei grossen, grundlegenden Themen im Grunde nie unterschiedliche Meinungen hatten.
Wenn ich richtig informiert bin, stimmen Sie sich immer gemeinsam über Investitionsentscheidungen ab. Aber kann es dann überhaupt unterschiedliche Standpunkte geben, um zu einem Investitionsentscheid zu kommen? Wie muss ich mir das vorstellen?
Wichtig ist, dass die Diskussion offen geführt wird. Manchmal werde ich gefragt, was die Meinung von Cevian zum Beispiel zum Thema Inflation ist. Ich antworte dann immer: Es gibt keine Meinung von Cevian. Wir wollen keinen „cevianischen” Standpunkt haben. Ich möchte, dass jeder Kollege im Investmentteam seine eigene Ansicht vertritt. Ich möchte keine „cevianische” Sichtweise haben. Und das gilt für alles. Jeder solle zu jedem Unternehmen, in das wir investieren, eine eigene Meinung haben und auch eine Meinung dazu haben, welche Strategie wir verfolgen sollten. Das bedeutet weder Streit, noch ist es ein Problem. Es geht nur darum, dass man zu seiner eigenen Meinung kommen muss. Und es ist kein Recht, sondern eine Verpflichtung für jedes Mitglied unseres Teams, seine Ansicht zu vertreten. Wenn jemand eine andere Auffassung hat, z.B. bei einer Investitionsentscheidung, muss sie oder er diese äussern. Niemand kann zwei Jahre später kommen und sagen: “Das habe ich mir schon immer gedacht”. Ich denke, das ist für Christer und mich eine gute Sache. Wir haben nie zueinander gesagt: “Das war deine Schuld”, “Das habe ich mir gedacht” oder “Das habe ich gesagt”, wir haben nie negativ über die Vergangenheit gesprochen, sondern immer konstruktiv in die Zukunft geschaut.
Das scheint ein wichtiger Aspekt zu sein.
Das ist es auch. Es ist schwieriger, hinter einer anderen Sichtweise zu stehen. Es ist nicht einfach, vor allem, wenn man neu in einem Team ist. Man ist Junior, man hat seinen ersten Job. Wenn man dann ein oder zwei Jahre dabei ist, ist es etwas einfacher. Gleichzeitig bleibt es schwierig. Vor allem, wenn andere Leute starke Meinungen haben. Wenn man eine differente Auffassung vertritt, hört man schnell Argumente gegen sich. Dann muss man natürlich darauf achten, dass die Meinung, für die man einsteht, etwas ist, an das man glaubt. Ich muss Ansichten vertreten, an die ich glaube. Aber es ist auch völlig in Ordnung, zu sagen: “Ich habe keine Meinung” oder “Ich weiss es nicht genau”. Ebenso ist es auch völlig in Ordnung zu sagen: “Das fühlt sich nicht richtig an”. Dennoch muss man auch lernen, sich selbst zu vertrauen. Mit der Zeit erkennt man schnell, dass man nicht nur seinen Verstand benutzen kann. Sie müssen Ihren Verstand, Ihren Bauch und Ihr Herz nutzen. Und wenn man gegen sein Bauchgefühl handelt, kommt es oft nicht gut.
Auch hier geht es also darum, sich selbst zu kennen und davon überzeugt zu sein oder eben nicht überzeugt zu sein.
Genau, man sollte überzeugt sein, weil man überzeugt sein muss. Wenn man aber unsicher ist, sollte man sich trauen, unsicher zu sein. Fordern Sie sich selbst in ihren Überzeugungen heraus. Es ist einfach, sich auf die Seitenlinie zu stellen und nur zu kommentieren. Es ist besser, sich eine eigene Meinung über eine Sache zu bilden. Es ist dasselbe wie bei politischen Fragen. Es ist leicht, sich ständig darüber zu beschweren, wie unsere Länder oder Unternehmen geführt werden. Aber wie würden Sie es selbst tun?
Wir möchten ein wenig näher auf das eingehen, was Sie tun, was für Sie selbst eine Rolle spielt, bei Ihrer Arbeit für die Human Practice Foundation als Mitbegründer und, wie wir annehmen, als aktiv Engagierter in Projekten und vielem mehr. Würden Sie sagen, dies ist etwas, was Ihnen persönlich hilft, eine andere Sichtweise zu haben und sich daran zu erinnern, dass es verschiedene Dinge und verschiedene Orte auf der Welt gibt und wir möglicherweise glücklich sein sollten, in Europa zu leben und hier geboren zu sein?
Ich weiss nicht, ob ich das so sagen würde. Ich mag Menschen, die sich für viele Dinge interessieren, und das möchte ich auch selbst. Allerdings verbringe ich viel Zeit mit der Arbeit und der weiteren Entwicklung von Cevian, was sehr spannend ist. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich nur als Gründer von Cevian identifiziere und, dass das meine Persönlichkeit ist. Meine Identität ist hoffentlich breiter als das. Aber auch bei meiner philanthropischen Arbeit ist es spannend und befriedigend zu sehen, was mit unternehmerischem Denken und effizienten Prozessen erreicht werden kann.
Wir fanden das interessant, weil man manchmal Leute sieht, die sich nicht einsetzen oder nicht versuchen, etwas beizutragen, und unserer Meinung nach ist es wichtig, etwas zurückzugeben.
Es kommt auch darauf an, wo man in seinem Leben steht. Ich habe heute mehr Zeit, und meine Kinder sind nicht mehr zu Hause, also ist es einfacher. Und natürlich verfüge ich jetzt über mehr finanzielle Mittel, die ich für gute Zwecke einsetzen kann. Ausserdem habe ich schon früher einige politische Projekte verfolgt, auch wenn sie eher unter dem Radar und anonym waren.
Interessant. Nun, wenn wir über Politik sprechen und ich meine die Schweiz als ein neutrales Land, da haben wir uns gefragt, warum Sie sich entschieden haben, in die Schweiz zu ziehen?
Wanderlust. Ich bin international orientiert, und es ist spannend, in einem anderen Land und mitten in Europa beheimatet zu sein. Zürich ist ein toller Ort zum Leben. Nette Leute, eine weltoffene Gesellschaft, viel Natur, die wunderbaren Berge. Ich denke, dass Europa ein fantastischer Kontinent ist. Es ist schön, in diversen Sprachen zu arbeiten. Es ist bereichernd, verschiedene Dinge zu sehen. Darüber hinaus arbeitete ich hier mit einem vielfältigen Kollegium, bestehend aus Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das finde ich grossartig. Und wenn es mich hin und wieder zurück nach Schweden in die Schären zieht, ist es nicht weit.