Die steigenden Gesundheitskosten rangieren im Schweizer Sorgenbarometer regelmässig weit oben; was unternimmt Sanitas, um den steigenden Prämien entgegenzuwirken? Würden Sie sagen, dass Sie dabei erfolgreich sind?
Zu unseren Kernaufgaben als Krankenversicherung gehört, die beanspruchten Leistungen genau zu prüfen. Wir vergüten nur Leistungen, die wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Dank der konsequenten Kontrolle von Rechnungen für Leistungen der Grund- und Zusatzversicherungen sparen wir jährlich rund 200 Millionen Franken ein. Darüber hinaus helfen uns ausgeklügelte Modelle, allfällige Betrugsfälle leichter zu identifizieren. Von diesen Einsparungen profitieren unsere Kundinnen und Kunden direkt bei ihren Prämien, denn tiefere Leistungskosten wirken sich positiv auf diese aus. Unsere Versicherungsmodelle erlauben unseren Kundinnen und Kunden eine gewisse individuelle Führung, welche sich wiederum positiv auf die Kostenentwicklung auswirkt. Das heisst im konkreten Fall, dass unsere Versicherten sich bei gewissen Produkten immer zuerst an den Hausarzt wenden. Dies spart Kosten und entlastet die Notfallaufnahmen der Spitäler. Schliesslich unterstützen und befähigen unsere verschiedenen Gesundheitsservices – analog wie digital – unsere Kundinnen und Kunden darin, ihre Gesundheit zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Unsere Services behandeln dabei Themen wie eine ausgewogene Ernährung oder regelmässige körperliche Aktivitäten, welche sich nachweislich positiv auf die Gesundheit auswirken und das Krankheitsrisiko senken.
Gibt es Ihrer Meinung nach systemische Fehler im Gesundheits- und Krankenkassenwesen, die für den Anstieg der Prämien (mit-)verantwortlich sind?
Im Gesundheitswesen gibt es viele Baustellen, die angegangen werden müssen. Dabei scheinen mir folgende Themenbereiche relevant: Weniger Regulierung und mehr Wettbewerb: Das Schweizer Krankenversicherungsgeschäft ist heute sehr stark reguliert. Missbräuche zu bekämpfen, ist wichtig. Es braucht aber auch mehr Freiräume für Wettbewerb. Wir wünschen uns zum Beispiel bei der Produktgestaltung mehr Möglichkeiten, um Dinge auszuprobieren, was aus unserer Sicht für Innovationen zentral ist. Wettbewerb und Innovation zusammen generieren letztlich auch bessere Preise. Darum müssen wir sicherstellen, dass es keine Überregulierung gibt. Fehlende Kostentransparenz und Eigenverantwortung: Noch immer haben wir im Gesundheitswesen viel zu wenig Transparenz. Denn wäre die vorhanden, stiege auch die Eigenverantwortung der Versicherten. Bei der Qualität dürfen wir nicht sparen, aber man könnte beim Umfang der Services abspecken. Möglich wäre dies mit besagter Kostentransparenz und Eigenverantwortung, denn wenn die Leute genau wissen, was eine medizinische Leistung und der Service kosten, sind sie eher bereit, auf etwas zu verzichten. Heute wissen die Versicherten gar nicht, was im Gesundheitswesen wie viel kostet. Digitale Fernberatung und Fernunterstützung: Sie werden in der Zukunft ein zentrales Element sein. Erstens möchten die meisten Menschen nach einem Eingriff möglichst rasch nach Hause. Die Digitalisierung hilft, dieses Ziel zu erreichen, indem man Patientinnen und Patienten auch zuhause medizinisch begleiten kann. Zweitens sind solche Systeme auch kostengünstiger, da man nicht eine teure Spitalinfrastruktur zur Verfügung stellen muss. Digitalisierung: Die Pandemie hat ganz klar einen Schub gebracht im Hinblick auf die Nutzung der digitalen Möglichkeiten. Im aktuellen Monitor «Datengesellschaft und Solidarität», welchen unsere Stiftung jährlich publiziert, wird deutlich, dass Corona das Vertrauen in digitale Lösungen im Gesundheitsbereich gesteigert hat – etwa in Bezug auf das elektronische Patientendossier. Eigene Gesundheitsdaten mit Zusatzgeräten aufzuzeichnen, ist in der Schweiz noch wenig üblich – aber es nimmt im Unterschied zum übrigen Tracking stetig zu. Den Puls, die Herzfrequenz oder beispielsweise den Blutdruck tracken heute doppelt so viele Personen wie vor fünf Jahren. Zudem befürwortet eine grosse Mehrheit, dass medizinische Datensammlungen grundsätzlich zu einer besseren Versorgung und tieferen Gesundheitskosten beitragen. Aber über die Hälfte der Daten-Teilenden will dafür belohnt werden, beispielsweise mit einem Vorrang für neu entwickelte Medikamente.
Denken Sie, eine (staatlich organisierte) Einheitskasse wäre eine mögliche Lösung, um die Gesundheitskosten unter Kontrolle zu bringen?
Nein, Sanitas lehnt sowohl eine nationale als auch eine kantonale Einheitskasse ab. Die Versicherten können heute ihre Krankenversicherung wählen und profitieren von Entscheidungsfreiheit und attraktiven Rabatten bei der Grundversicherung. Eine Einheitskasse würde nicht nur zu einer Vereinheitlichung der Angebote führen, sondern der Kasse auch jeden Anreiz nehmen, ihre Angebote für die Kundinnen und Kunden innovativ weiterzuentwickeln – beispielsweise in Richtung integrierte Versorgung. Wer mit der Kasse nicht zufrieden ist, würde sie auch nicht wechseln können. Das ist ein grosser Nachteil für die Versicherten.
Es zeigt sich, dass durch regelmässige Vorsorgeuntersuchungen die Krankenkassen mittel- bis langfristig weniger stark belastet wären, jedoch ergibt sich der Eindruck, dass es eine gewisse Zurückhaltung von Seiten der Krankenkassen gegenüber der Finanzierung dieser Angebote gibt. Täuscht dieser Eindruck oder gibt es Gründe dafür?
Unser Ziel ist es, unsere Kundinnen und Kunden im Krankheitsfall zu unterstützen. Gleichzeitig wollen wir als Gesundheitspartnerin unsere Versicherten befähigen, ihre Gesundheit selbstständig zu fördern und nachhaltig zu stärken. Unsere Zusatzversicherungen unterstützen mit entsprechenden Vergütungen einen gesunden Lebensstil. Zudem finanzieren wir in Kooperation mit Partnerunternehmen gezielt Programme, um Kundinnen und Kunden bei der Erhaltung ihrer Fitness oder im Umgang mit ihren chronischen Krankheiten zu unterstützen. Die Grundversicherung wiederum übernimmt den gesetzlichen Vorgaben entsprechend neben prophylaktischen Impfungen auch eine ganze Reihe von Massnahmen zur Früherkennung von Krankheiten wie gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen oder auch Vorsorgeuntersuchungen bei Personen, die über 50 Jahre alt sind oder über ein erhöhtes familiäres Risiko für bestimmte Krankheiten verfügen.
Präventive Massnahmen sind allerdings oftmals mit Persönlichkeitsdaten verknüpft. Haben Sie Verständnis dafür, wenn Personen es für problematisch halten, Gesundheitsdaten mit der Krankenkasse zu teilen? Was entgegnen Sie diesen Sorgen? Bis zu welchem Grad sind Menschen ihrer Meinung nach dazu bereit, die personenbezogenen Daten für eine individuelle Diagnose auszuwerten?
Die Gesundheitsdaten unserer Kundinnen und Kunden sind besonders schützenswerte Daten und unterliegen im Hinblick auf den Datenschutz besonders strengen Anforderungen. Aus diesem Grund erfolgt die Datenerhebung und -auswertung nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Versicherten und im Rahmen der ausgewiesenen Zwecke. Der Kunde oder die Kundin stellt diese Daten freiwillig zur Verfügung, um zusätzlich angebotene Services nutzen zu können (wie zum Beispiel die Funktion «Impfbüchlein» u.a.). Er oder sie kann die Einwilligung jederzeit widerrufen.
Die digitale Transformation ist allmählich auch in der Gesundheitsbranche angekommen. Wie wichtig ist es für Krankenversicherer, ebenfalls Technologien einzuführen, um junge Kunden anzusprechen, aber auch sich selbst von Bürokratie und veralteter Hardware zu befreien?
Die Digitalisierung ist in der Tat in der Gesundheitsbranche angekommen. Dennoch gibt es noch einige Hürden – ich denke da an die Einführung des Elektronischen Patientendossiers. Grundsätzlich sehe ich bei der Digitalisierung folgende vier Dimensionen: Erstens: Digitalisierung der Kundenschnittstelle; zweitens: Digitalisierung der Leistungserbringung und der Patientenpfade; drittens: Digitalisierung und Automatisierung der eigenen Systeme und Prozesse und viertens die Nutzung von Daten, Analytics sowie Künstlicher Intelligenz, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Digitalisierung bringt eine umfassende Veränderung der Art und Weise, wie in Zukunft das Gesundheitswesen funktionieren wird. Dazu braucht es zwingend die richtigen Rahmenbedingungen und den Freiraum für Innovation. Ist dies gegeben, werden sich neue Modelle in den verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens herausbilden. Mit Blick auf junge Kundinnen und Kunden setzen wir als Krankenversicherung neue digitale Kanäle und Formate gezielt ein, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Die volle Digitalisierung des Gesundheitswesens birgt hohes Effizienzpotential. Unsere Vision ist es, unsere Kundinnen und Kunden mit digitalen Tools so zu unterstützen, dass sie ihre Gesundheit selbstbestimmt fördern können. Ich glaube fest daran, dass die Gesundheitserhaltung immer mehr zum Lifestyle und noch stärker an Bedeutung gewinnen wird. So sehe ich neben dem heutigen noch immer stark ortsbezogenen Gesundheitswesen die Entwicklung eines zweiten, effizienteren und günstigeren Ansatzes: Diesen bezeichne ich gerne als «digital mobile medicine». Darunter verstehe ich den Einsatz von kleinen mobilen Geräten wie Smartphone, Wearables sowie spezifischen Hilfsmitteln beispielsweise für die Blutentnahme bei chronisch erkrankten Personen, die eine zeit- und ortsunabhängige Diagnose ermöglichen.
Sanitas belohnt Personen über eine Handyapplikation mit Gutscheinen, wenn sich diese bewegen und ihre Daten teilen. Liegt die Belohnung für sportliche Aktivität nicht ausserhalb des Aufgabenbereichs einer Krankenversicherung?
Das Wohl unserer Kundinnen und Kunden ist zentral. Im Kern unserer Vision wollen wir unseren Kundinnen und Kunden quasi von der Wiege bis zur Bahre als Gesundheitspartnerin an der Seite stehen und sie befähigen, ihre Gesundheit selbstbestimmt zu verbessern, beziehungsweise zu erhalten und zu fördern. Alle unsere Produkte, digitalen oder analogen Angebote, Services und Inhalte zielen darauf ab, bei unseren Versicherten spürbar zu sein und einen Wandel in ihrem Verhalten hin zu einem gesunderen Lebensstil zu bewirken. Über unsere Zusatzversicherungen motivieren wir sie, sich mehr zu bewegen und sich gesund zu ernähren. Rund um diese und weitere Themen bieten wir ihnen mit unseren Apps und via unseren diversen Kommunikationskanälen viele spannende Inhalte, welche einen gesunden Lebensstil fördern. Dies hilft den einzelnen Kundinnen und Kunden wie der Gesamtbevölkerung. Als Krankenversicherung möchten wir einen positiven Beitrag zum Gesundheitswesen beitragen. Dafür wollen wir nahe bei unseren Kundinnen und Kunden sein und wenn immer möglich früh involviert werden und nicht erst nachgelagert in der Abwicklung einer medizinisch erbrachten Leistung. Des Weiteren entstehen auch mit Hilfe von Wearables und digitalen Tools neue Möglichkeiten, gesundheitsrelevante Informationen wie zum Beispiel eine ungesunde Lebensweise oder Anzeichen einer möglichen Erkrankung früh zu erkennen und entsprechende Massnahmen zugunsten der Kundinnen und Kunden zu starten. Diese Selbstvermessung mit mobilen beziehungsweise digitalen Geräten und die digitale Anbindung an Leistungserbringer mittels Datenaustausch bilden zukünftig dafür die Basis.
Betrachtet man die Werbung von Sanitas bekommt man den Eindruck, dass sich Sanitas von einer Krankenversicherung zu einem allgemeinen Gesundheitsbegleiter entwickeln möchte. Als was versteht sich Sanitas selbst?
Wir sind als verlässliche Gesundheitspartnerin für unsere Kundinnen und Kunden da und in erster Linie sind wir eine Versicherung. Wir möchten unsere Versicherten aber auch befähigen, ihre Gesundheit dank einfachstem Zugang zum Gesundheitswesen selbstbestimmt zu fördern, helfen ihnen unkompliziert im Krankheitsfall und sorgen mit innovativen Produkten und Services für ein modernes Gesundheitswesen. Als Krankenversicherung gehört es zu zudem zu unserer Aufgabe, der Schweizer Bevölkerung zu zeigen, wie sie ihre Gesundheit proaktiv beeinflussen, planen und managen kann. Mit der nunmehr dritten Ausgabe des Sanitas Health Forcecast, welche im Juni erscheint, möchten wir die Leserinnen und Leser für ihre Gesundheit sensibilisieren und mit provokanten Fragen persönliche Gedanken und grundsätzliche Diskussionen anstossen.
Neben den klassischen Krankenversicherungsangeboten arbeitet Sanitas auch mit einigen Start-ups im Bereich Healthcare zusammen und investiert auch teilweise in Unternehmen wie zum Beispiel Humanoo. Was sind dabei für Sie wichtige Kriterien bei der Bewertung eines Unternehmens? Und gibt es aktuell einen Bereich, den Sie für besonders vielversprechend erachten?
Unser Ziel ist es, Produkte und Services zu entwickeln, die den Zugang zum Gesundheitswesen bestmöglich erleichtern und unseren Versicherten unkompliziert helfen. Dabei arbeiten wir auch gerne mit innovativen und spannenden Start-ups zusammen – immer unter der Voraussetzung, dass diese in unser Gesamtkonzept und insbesondere zu unseren «Customer Journeys» – das sind beispielsweise die «Acute Journey, Chronic Journey oder Mental Journey» – passen. Mit dem Einsatz von Humanoo leisten wir einen konkreten Beitrag zur Gesundheitsförderung der Bevölkerung. Das Unternehmen betreut sowohl einige grosse, bekannte Unternehmensmarken als auch Krankenversicherer und hilft durch mehr als 3000 Coaching-Sitzungen in fünf Sprachen dabei, mental und körperlich gesund zu bleiben oder es zu werden. Dabei erreicht Humanoo Aktivierungs- und Retention-Raten, die deutlich höher sind als der Marktstandard. Auch das überzeugt uns davon, dass Humanoo nachhaltig viel Positives für die Gesundheit der Bevölkerung bewirken wird und damit auch unsere Leistungskosten senken kann.
Sanitas investiert mit grossen Summen an den Kapitalmärkten. Was für Kriterien spielen dabei eine Rolle? Werden auch Nachhaltigkeitsüberlegungen berücksichtigt?
Das Thema Nachhaltigkeit ist für uns zentral. Wir verstehen uns als verantwortungsbewusstes Unternehmen und möchten einen aktiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Dies widerspiegelt sich auch in unseren Anlagen. Seit 2020 sind die ESG-Grundsätze für uns massgebend und wir beachten dabei die internationalen Benchmarks für Geldanlagen (MSCI). Zusätzlich investieren wir seit diesem Jahr gezielt in Infrastrukturanlagen, welche den Energiewandel fördern. Dies sind konkret Investitionen in Solaranlagen, Windparks und dergleichen.
Inwiefern hat sich die Covid-19-Pandemie auf das Geschäft der Krankenkassen ausgewirkt? Verzeichnete Sanitas einen starken Anstieg an Leistungsansprüchen?
2020 waren die Leistungskosten wegen des Lockdowns und der Verschiebung zahlreicher, nicht dringlicher Operationen leicht rückläufig. 2021 stiegen sie aber bereits wieder und der Trend hält auch in 2022 an. Neben dem demographischen Wandel spielen dabei Themen wie teure neue Therapieformen und Medizin, die Spitalinfrastruktur, aber auch die Mengenausweitung eine zentrale Rolle. Für viele der heute verfügbaren Verfahren ist nicht klar, ob sie in der gegebenen Situation auch wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung in den nächsten 10 bis 15 Jahren? Denken Sie, das Schweizer Gesundheitswesen und Sanitas sind für diese Herausforderungen gewappnet?
Im Krankenversicherungsbereich ist eine grosse Dynamik zu spüren. Denn die Rolle der Krankenversicherungen erweitert sich von einem auf die Abwicklung der Leistungskosten fokussierten Unternehmen zu einem kundenorientierten Unternehmen, welches die Versicherten zusätzlich zur Kernaufgabe als Versicherer in der Prävention oder im akuten und chronischen Krankheitsfall unterstützt. Hier sehen wir grosses Erweiterungspotenzial. An unternehmerisch denkenden Personen fehlt es im Gesundheitswesen nicht, sondern an den offeneren Rahmenbedingungen mit weniger Regulierung. Denn aufgrund der hohen Regulierungsdichte ist der Freiraum für unternehmerisches Handeln und Innovation zu eingeschränkt und wenig wirklicher Wettbewerb möglich. Ich bin überzeugt, dass mehr Innovation und damit eine grössere Vielfalt an Produkten und Services möglich wären und auch eine bessere Qualität und tiefere Kosten, wenn wir mehr Wettbewerb hätten.