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Verantwortung und Wettbewerb – André Müller-Wegner über Politik, Führung und internationale Kapitalmärkte

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Interview mit HSG-Absolvent André Müller-Wegner, Head Client Coverage und Head Asset Management Schweiz, Vorstandsmitglied bei der FDP im Kanton Zürich sowie bei der Asset Management Association Switzerland (AMAS).

Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Mein Name ist André Müller-Wegner – ein Doppelname, den ich trage, weil man mit einem Namen wie Müller gelegentlich etwas mehr Differenzierung braucht. „Wegner“ ist der Name meiner Frau.

Ich habe 1999 hier mein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und war während dem Studium und danach als Assistent an einem Institut tätig. Eigentlich hatte ich vor, eine Dissertation zu schreiben, doch daraus wurde nichts – mein Doktorvater verliess das Institut unerwartet, und irgendwann musste ich anfangen Geld zu verdienen. Mein ursprünglicher Plan war, für ein paar Jahre zur UBS zu gehen. Inzwischen bin ich seit 25 Jahren dort.

Gestartet bin ich im Asset Management in der Schweiz, dann kam die Dotcom-Krise, die wesentliche strukturelle Veränderungen in Asset Management mit sich brachte und irgendwie hat es mich ins Wealth Management nach London verschlagen. Dort blieb ich mehrere Jahre und absolvierte zusätzlich ein Studium in den USA mit dem Fokus auf Mikroökonomie und Finance, bevor ich wieder zu UBS nach London zurückkehrte. Kurz vor der Finanzkrise sind meine Frau und ich im Rahmen einer beruflichen Weiterentwicklung bei UBS in die Schweiz zurückgekehrt. Seither habe ich verschiedene Stationen im Wealth und Asset Management durchlaufen – bis hin zu meiner heutigen Rolle.

Sie waren über viele Jahre in der FDP und im Zürcher Kantonsrat aktiv. Hat diese politische Erfahrung Einfluss darauf, wie Sie das Geschäft heute sehen?

Politisch engagiert war ich bereits zu Studienzeiten hier an der Universität, denn für mich war Politik stets eine Form von Public Service, nie ein Karriereziel. Während meiner Jahre im Ausland trat das Engagement etwas in den Hintergrund. Nach meiner Rückkehr engagierte ich mich auf Gemeindeebene, wo ich auch heute noch aktiv bin. Dort hatte ich das Gefühl, konkret etwas bewirken zu können, insbesondere weil ich meine Berufs-Erfahrungen einbringen konnte: wie man Probleme strukturiert angeht, mit welcher Geschwindigkeit und Präzision man operiert.

Als ich später in den Zürcher Kantonsrat gewählt wurde, wollte ich genau diesen Ansatz weiterverfolgen. Ich denke, gerade diese methodische Perspektive hat mir politisch auch den Weg geebnet. Besonders prägend war für mich die Zeit als Fraktionspräsident, eine Führungsfunktion, in der man Kolleginnen und Kollegen leitet, die gleichgestellt sind und in keiner formalen Abhängigkeit stehen. Sie sind demokratisch legitimiert, brauchen dich nicht, doch du brauchst sie, um politische Ziele umzusetzen. In so einer Rolle lernt man, wie essenziell transparente Kommunikation, aktives Zuhören und überzeugende Argumente sind.

Diese Erfahrungen prägen heute meinen Führungsstil. Gerade in Zeiten des Wandels ist es zentral, Menschen mitzunehmen, anstatt ihnen einfach Anweisungen zu geben. Ich verstehe mich als eine Führungskraft, die auf Beteiligung, Dialog und gemeinsame Zielorientierung setzt.

Vor welchen besonderen Herausforderungen sehen Sie als FDP-Vorstandsmitglied  die politische Mitte in der Schweiz heute?

Die grundlegende Herausforderung liegt darin, dass unsere Welt zunehmend komplexer geworden ist. Politische Lösungen sind selten einfach und gerade die bürgerlichen Parteien tragen häufig die Verantwortung für tragfähige Kompromisse. Parteien an den Rändern sind da in einer etwas leichteren Position, da sie schlussendlich die Verantwortung nicht tragen. 

Die bürgerlichen Parteien, vor allem die FDP, verstehen sich nach wie vor als staatstragend, auch wenn wir in der Wählergunst mittlerweile hinter der SP zurückliegen. Vielleicht ist das auch eine konzeptionelle Frage. Wir definieren unseren Auftrag darin, die Schweiz konstruktiv weiterzuentwickeln. Doch genau diese Haltung macht es schwierig, bewusst in eine Oppositionsrolle zu gehen.

Gleichzeitig sehen wir uns immer häufiger in diese Rolle gedrängt, insbesondere dann, wenn wir auf kommunaler Ebene Mandate verlieren. Ich denke, wir müssen lernen, diese Rolle auch anzunehmen und den politischen Mitbewerbern die Verantwortung für das Staatswesen zumindest teilweise zu übertragen. 

Deshalb halte ich es für sinnvoll, auch Polparteien weiterhin in die Verantwortung einzubinden. Vielleicht ist genau das ein Modell, das auch anderen Ländern als Beispiel dienen könnte.

Wir richten den Blick nun auf Deutschland. Welche zentralen Herausforderungen muss das Land bewältigen, um auch in Zukunft als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig zu bleiben?

Das ist in der Tat eine sehr umfassende Frage. Deutschland verfügt nach wie vor über einen grossen Pool an Fachkräften, und der Mittelstand besitzt weiterhin enorme Innovationskraft. Das ist ein starkes Fundament, auf dem sich aufbauen lässt.

Problematisch war in den vergangenen Jahrzehnten jedoch der Umgang mit dem Prinzip der Meritokratie. Exzellente Hochschulen wurden zu zögerlich etabliert und eine klare Leistungsorientierung ist gesellschaftlich nicht fest verankert. Das schreckt Talente ab, und wenn die Besten gehen, leidet langfristig die Innovationsfähigkeit. 

Hinzu kommt die mangelnde Verfügbarkeit von Risikokapital. In ganz Europa besteht hier ein erheblicher Nachholbedarf und Deutschland bildet keine Ausnahme. Zwar hat sich rund um Berlin ein gewisses Start-up-Ökosystem entwickelt, doch gerade in späteren Finanzierungsrunden fehlt es jungen Unternehmen häufig an Kapital. Nach der „Friends and Family“-Phase existieren kaum tragfähige Strukturen für die Wachstumsfinanzierung. Das ist umso bedauerlicher, weil der deutsche Heimmarkt eigentlich gross genug wäre, um Risikokapital anzuziehen und zu halten und damit einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Märkten zu schaffen.

Ein weiteres strukturelles Hindernis ist die Bürokratie. Deutschland ist stark formalistisch, oft langsam und wenig serviceorientiert. Selbst einfache Vorgänge wie die Stimmabgabe von Auslanddeutschen können unverhältnismässig aufwendig sein

Auch das gesellschaftliche Klima spielt eine Rolle. In Deutschland scheint es teilweise verpönt zu sein, stolz auf wirtschaftliche Errungenschaften zu sein. Dabei wäre gerade ein neues Selbstbewusstsein entscheidend, ein Stolz auf „Made in Germany“, der die Bereitschaft fördert, Unternehmen gezielt zu unterstützen und Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen. Die Marke „Made in Germany“ steht nach wie vor für Qualität und dieser Wert sollte aktiv gestärkt werden.

Viele der oben genannten Kritikpunkte stimmen übrigens auch für die Schweiz! Die Schweiz und Deutschland sind wirtschaftlichen und kulturell eng verbunden. Der Kapitalfluss zwischen den beiden Volkswirtschaften ist hoch und dass deutsche Investoren nach sechs Jahren wieder direkt Schweizer Aktien kaufen können, ist ein kleiner, aber bedeutender Schritt für eine noch stärkere ökonomische Verflechtung. Trotz gelegentlicher Mentalitätsunterschiede könnten beide Länder noch stärker voneinander profitieren, wenn sie ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter vertiefen.

Von der Politik nun zurück zu Ihrer Branche: Wie wollen Sie als AMAS-Vorstandsmitglied die Position des Asset Managements in der Schweiz in den nächsten drei bis fünf Jahren stärken?

Die Schweiz ist mittlerweile der drittgrösste Standort für Asset Management in Europa. Die Schweiz profitiert insbesondere von den grossen Vermögen, welche sowohl von den Pensionskassen als auch aus dem Wealth Management betreut werden, dadurch hat sich der Standort auch zu einem wichtigen Knotenpunkt im Vertrieb entwickelt. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette liegt der Schwerpunkt auf dem Vertrieb und auf dem Portfolio Management.

Es mag zum Teil weniger Sinn machen, ein US-Aktienportfolio von der Schweiz aus zu verwalten, wenn dies vor Ort effizienter geschehen kann. In diesem Sinne haben grössere Asset Manager ihr Portfolio Management häufiger regional diversifiziert. Hinzu kommt, dass wir uns in der Vergangenheit selbst strukturelle Hürden geschaffen haben. Das geltende Stempelsteuerregime wirkt standortschädigend und die Tatsache, dass Schweizer Fonds in vielen ausländischen Märkten nicht zum öffentlichen Vertrieb zugelassen sind, erschwert die internationale Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich.

Wir müssen politisch klüger agieren. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, den Standort Schweiz in diesem Bereich stärker zu vertreten. Es gilt, Reformpotenziale aufzuzeigen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und Arbeitsplätze sichern, insbesondere auch mit Blick auf das Wachstumssegment Private Markets. In der Asset Management Association Switzerland (AMAS), in deren Vorstand ich tätig bin, setzen wir uns dafür ein, diese Themen auf politischer Ebene zu verankern.

Gerade weil dieser Einsatz so wichtig ist, müssen wir uns im internationalen Wettbewerb behaupten. Luxemburg, Irland, Frankreich und London zählen zu den starken europäischen Standorten, global kommen die USA, Hongkong und Singapur hinzu. Dennoch bin ich überzeugt, dass insbesondere im Bereich europäischer Anlagen vieles weiterhin aus Europa heraus gesteuert werden kann. Hier hat die Schweiz auch künftig die Chance, eine zentrale Rolle zu spielen.

Letzte Frage: Angenommen, Sie hätten heute gerade Ihren Bachelor abgeschlossen – was würden Sie als Nächstes tun?

Ich hätte wahrscheinlich mehrere Semester im Ausland absolviert, jedoch nicht im klassischen englischsprachigen Raum, sondern gezielt in aufstrebenden Volkswirtschaften wie in Asien. Mein Ziel wäre gewesen, die Welt in ihrer ganzen Vielfalt kennenzulernen, mit all ihren Dynamiken, Kontrasten und Herausforderungen. Ich hätte gehofft, dass diese Erfahrungen inspirieren und vielleicht auch beruflich prägen. Der Wunsch, früh internationale Erfahrung zu sammeln, war bei mir immer stark ausgeprägt.

Damals war das allerdings deutlich komplizierter. Ich erinnere mich, dass ich mir eine Arbeitsbewilligung besorgen musste, um überhaupt in Deutschland arbeiten zu dürfen. Einmal stand ich in München fünf Stunden in einer Schlange, um eine Genehmigung für einen Studentenjob zu beantragen. Irgendwann fragte mich der Sachbearbeiter, ob ich Schweizer sei, und meinte dann nur, ich könne durchgehen. Vermutlich war ich der Einzige, dessen Pass er sofort erkannte.

Die Finanzindustrie wäre auch heute für mich eine interessante Option als Studienabgänger. Es gibt vieles, das ich an dieser Branche schätze. Zum einen bietet sie ein internationales Umfeld, in dem man mit Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenarbeitet. Zum anderen lassen sich viele Tätigkeiten relativ ortsunabhängig ausüben, sodass sich Karrieren flexibel über Ländergrenzen hinweg gestalten lassen. Besonders schätze ich die Mentalität vieler Menschen in der Branche: eigenverantwortlich, leistungsbereit und gleichzeitig erstaunlich robust.

Hinzu kommt, dass viele eine liberale Grundhaltung haben. Es geht darum, für Kunden einen klaren Mehrwert zu schaffen. Diese Zielorientierung liegt mir sehr. Ich hätte mir gut vorstellen können, meine Karriere in Hongkong zu beginnen, bei einer Investmentbank oder einem Asset Manager. Hongkong hat mich immer fasziniert. Die Stadt ist westlich genug, um sich kulturell einzuleben, und dennoch deutlich chinesisch geprägt, wenn auch weniger tief verwurzelt als Shanghai. Im Vergleich zu Tokio, das kulturell oft noch schwerer zugänglich ist, erscheint Hongkong als ein guter Mittelweg.

Nach einigen Jahren im Ausland hätte ich wahrscheinlich weitere internationale Stationen angestrebt, um schliesslich denselben Weg einzuschlagen wie in meiner tatsächlichen Laufbahn: erst arbeiten, dann weiterstudieren. In meiner Studienzeit gab es nur die Möglichkeit, direkt den Master anzuschliessen, und ich habe zwei davon absolviert. Heute haben Studierende die Möglichkeit, nach dem Bachelor zunächst Berufserfahrung zu sammeln und später mit dem Master fortzufahren. Diese Reihenfolge würde ich sehr empfehlen, da man das Privileg des Studiums erst richtig erkennt, wenn man zuvor im Berufsleben gestanden hat.

Als ich an der HSG studierte, habe ich das nicht in vollem Ausmass verstanden. Erst als ich später für ein weiteres Studium an der Harvard University zurückkehrte, wurde mir bewusst, wie wertvoll ein akademisches Umfeld ist. Im Berufsleben wartet niemand auf dich, es gibt keine automatische Unterstützung. Man muss Leistungen erbringen, und Fehler werden klar benannt. Eine gute Vernetzung ist für die persönliche Laufbahn sehr wertvoll. 

Nach einigen Jahren im Ausland hätte es mich wohl wieder nach Europa gezogen. Ich schätze das Leben hier sehr, vor allem die Vielfalt und die Dichte an Möglichkeiten, wie man sie in vielen Weltregionen nicht findet. Für mich ist es in Ordnung, dafür einen Preis zu zahlen, sei es durch Opportunitätskosten oder höhere Steuern. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man in der Schweiz 35 Prozent Grenzsteuersatz zahlt oder in Singapur gar keine, beziehungsweise in Hongkong nur zehn Prozent. Für meine Frau und mich stand jedoch immer fest, dass unser Lebensmittelpunkt in Europa liegen soll. Diese Entscheidung haben wir bewusst getroffen.

André Müller-Wegner ist Managing Director bei der UBS AG und seit Juni 2024 Head Client Coverage sowie Head Asset Management Schweiz. Der HSG-Absolvent blickt auf eine langjährige Karriere bei UBS zurück, unter anderem als Head Global Wealth Management Client Coverage. Neben seiner operativen Tätigkeit engagiert er sich als Vorstandsmitglied der FDP im Kanton Zürich sowie der Asset Management Association Switzerland (AMAS) und ist Verwaltungsratspräsident der UBS Asset Management Deutschland GmbH.

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