Ola Källenius ist ein schwedischer Manager und Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG.
Herr Källenius, was motiviert Sie jeden Morgen, sich auf den Weg zur Arbeit zu machen?
Die Autos mit dem Stern faszinieren mich schon seit Kindestagen. Insofern macht es mir jeden Tag Freude, für dieses Unternehmen zu arbeiten. Die Zeiten sind herausfordernd und ereignisreich, aber gleichzeitig auch sehr motivierend, jeden Tag mit unserem außergewöhnlichen Team an der Zukunft des Unternehmens zu arbeiten.
Sie haben während Ihres Studiums eine Zeit lang in St. Gallen verbracht. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit zurück?
Ich habe Anfang der 90er-Jahre in St. Gallen „International Management“ studiert. In erster Linie erinnere ich mich an die tolle Gemeinschaft. Meine Kommilitonen kamen aus aller Welt, waren hochengagiert und sehr smart. Die Bedingungen an der Universität St. Gallen waren optimal. Eine unvergessliche Zeit. Im Alltag habe ich auch mein Deutsch weiter verbessert – auch wenn es kein Hochdeutsch war, aber das soll ja nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Job in Schwaben sein.
Seitdem Sie 2019 CEO von Mercedes-Benz geworden sind, haben Sie im Grunde genommen durchgehend Krise erlebt. Inwiefern schafften sie es, in dieser Zeit die Balance zwischen Fortschritt und Krisenbewältigung zu halten?
Ich bin stolz darauf, wie erfolgreich das Unternehmen und die gesamte Belegschaft die vergangenen Jahre gemeistert haben: COVID-19-Pandemie, fragile Lieferketten und seit Februar 2022 auch noch der Krieg in der Ukraine. Unser Team hat jedes Mal aufs Neue mit Flexibilität und Zusammenhalt reagiert. Aber es geht um mehr als nur das zu verfolgen, was kurzfristig nötig ist. Pioniergeist ist Teil unserer Unternehmens-DNA. Neugierig, mutig, leidenschaftlich und bereit zu sein, neue Wege zu gehen, sind meiner Meinung nach wichtige Eigenschaften, um langfristig erfolgreich zu sein. Und deshalb bin ich noch auf etwas Anderes sehr stolz: Zur selben Zeit haben wir das Unternehmen strukturell und strategisch neu ausgerichtet. Daimler Truck ist inzwischen als eigenständiges Unternehmen an der Börse notiert und Mercedes-Benz kann mit vollem Fokus auf Dekarbonisierung, Digitalisierung und verstärkte Luxusausrichtung an einer erfolgreichen Zukunft arbeiten.
Vor allem während der Anfangsphase der Covid 19-Pandemie standen viele Führungskräfte vor großen Herausforderungen im Bereich Leadership. Wie sind Sie und das Leadership-Team bei Mercedes-Benz damit umgegangen?
Besonders in den ersten Wochen galt es, schnell zu handeln. Unsere oberste Priorität war, die Gesundheit und Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen weltweit zu gewährleisten. Dafür haben wir einen Krisenstab eingerichtet und innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt – vom Herunterfahren der Produktion bis zur Organisation von mobilem Arbeiten, wo immer es möglich war. Hinzu kam, dass sich die Pandemie-Lage täglich verändert und von Region zu Region unterschieden hat. Für ein globales Unternehmen mit komplexen Lieferketten war das eine riesige Herausforderung.
Mir persönlich war in dieser Zeit besonders wichtig, noch mehr als sonst über das zu sprechen, was wir tun – um die Kolleginnen und Kollegen up-to-date zu halten und Unsicherheiten zu reduzieren. In der Hochphase der Pandemie habe ich ihnen über den Messengerdienst „Threema“ regelmäßige Covid-19-Updates direkt aufs Smartphone geschickt. Mithilfe dieses direkten Drahts zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnte ich sie mit relevanten Informationen aus erster Hand versorgen. Das kam bei den Meisten sehr gut an.
Gab es rückblickend betrachtet etwas, dass Sie heute besser machen würden?
Natürlich gibt es immer Punkte, aus denen man lernt. Wenn ich an die Anfangszeit der Pandemie zurückdenke, überwiegt bei mir aber vor allem ein Eindruck: Wir haben gesehen, was wir schaffen können, wenn alle gemeinsam handeln. Die Notfallmaßnahmen, die innerhalb kürzester Zeit weltweit auf die Beine gestellt wurden, waren beeindruckend. Von milliardenschweren Hilfspaketen, über umfunktionierte Produktionslinien zur Herstellung von Beatmungsgeräten oder Desinfektionsmitteln bis hin zu unzähligen solidarischen Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft. Mit dieser Erfahrung im Hinterkopf kann man durchaus zuversichtlich nach vorn blicken – auch im Hinblick auf andere globale Herausforderungen wie den Klimawandel.
Mit Ihrem Antritt als CEO hat sich Mercedes-Benz stärker auf das höhermargigere Premiumsegment fokussiert. Heute deuten viele Prognosen auf eine Rezession hin und Konsumierende halten sich mit Neuanschaffungen zurück. Warum denken Sie, dass dies trotz der derzeitigen wirtschaftlichen Lage auch in der Zukunft die richtige Strategie sein wird?
Die Antwort steckt in der Frage: Studien zeigen, dass Luxusmarken krisenfester und schneller in der Lage sind, sich von Konjunktureinbrüchen zu erholen. Mit dem Fokus auf diese Segmente schützen wir unsere Arbeitsplätze und werden als Unternehmen resilienter.
Mercedes-Benz möchte überall dort, wo es die Marktbedingungen zulassen, ab 2030 vollelektrisch sein. Welche Infrastrukturveränderungen, insbesondere im Bereich der Ladesäulen, sind bis dahin generell erforderlich und welche Schritte sind hierbei von Seiten der Automobilhersteller notwendig?
Ich sehe es als besonders wichtig an, dass der Ausbau der Ladepunkte besser koordiniert und geplant wird. Nehmen wir die EU als Beispiel: Der europäische Automobilherstellerverband ACEA hat im Oktober 2022 festgestellt, dass es lediglich in fünf Ländern mehr als 10 Ladepunkte pro 100 Kilometern Straße gibt. Laut ACEA finden sich zudem in 17 EU-Ländern pro 100 Kilometern Straße nur fünf Ladepunkte und in sechs Ländern ist es sogar nicht einmal ein einziger. Hier müssen Politik und Autoindustrie weiter an einem Strang ziehen und gemeinsam Fortschritte für die Kundinnen und Kunden erreichen. In Brüssel wird aktuell an wichtigen Vorgaben für den Aufbau von Ladeinfrastruktur gearbeitet. Das unterstützen wir sehr. Zudem werden wir weiterhin aktiv beitragen, um das mit der Bundesregierung vereinbarte Aufbauziel von 15.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten zu erreichen.
Auch bei der Versorgung mit grünem Strom und grüner Energie ist es wichtig, dass Fortschritte erzielt werden. Für immer mehr Unternehmen ist das ein zentraler Ansiedlungs- und Standortfaktor. Zudem hat es natürlich auch einen positiven Umwelteffekt, wenn alle E-Autos grünen Strom laden können.
Mercedes-Benz spricht heutzutage eine Käuferschaft an, die sich Autos im Premiumsegment leisten können. Viele von denen werden ein eigenes Haus und die Möglichkeit zur Installation einer Wallbox haben. Wieso muss die Ladeinfrastruktur dennoch weiter ausgebaut werden?
Viele, aber sicherlich nicht alle unsere Kundinnen und Kunden haben zuhause die Möglichkeit, eine Wallbox zu installieren. Denken Sie zum Beispiel an all diejenigen, die in der Stadt wohnen und keine eigene Garage haben. Wer eine heimische Wallbox hat, dem hilft sie dabei, auf kurzen Alltagsstrecken mobil zu bleiben – zum Beispiel für Fahrten in die Arbeit oder zum Einkaufen. Aber spätestens dann, wenn längere Fahrten mit dem E-Auto anstehen, ist eine gut ausgebaute öffentliche Ladeinfrastruktur auch für Menschen mit Wallbox essentiell.
Ganz grundsätzlich gilt, dass die öffentliche Ladeinfrastruktur ausschlaggebend ist für die Marktakzeptanz von Elektroautos: Menschen werden nur dann den Umstieg auf vollelektrische Modelle wagen, wenn sie sicher sein können, dass sie nicht 100 Kilometer bis zum nächsten Ladepunkt fahren müssen. Die Automobilindustrie hat in den vergangenen Monaten eine Vielzahl vollelektrischer Fahrzeuge auf den Markt gebracht. Jetzt ist es umso wichtiger, dass der flächendeckende Ausbau der Ladeinfrastruktur damit Schritt hält.
Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung liegt die durchschnittliche Auslastung eines PKWs in Deutschland im Jahr 2018 gerade einmal bei 1,46 Personen pro Fahrt. Warum erachten Sie das Modell von privaten PKWs in der Mobilität der Zukunft dennoch für sinnvoll/tragbar?
Die Erfindung des Automobils vor mehr als 135 Jahren wurde zur persönlichen Unabhängigkeitserklärung für Millionen Menschen: So reisten beispielsweise die Europäer vor der Erfindung des Automobils durchschnittlich 20 Kilometer pro Jahr. Heute ist es im Durchschnitt zwar noch dieselbe Distanz – aber pro Tag! Unsere modernen Gesellschaften bauen auf dieser selbstbestimmten, individuellen Mobilität auf – arbeitsteilige Volkswirtschaften erst recht. Und wir sehen, dass weltweit der Wunsch immer größer wird, sich jederzeit selbstbestimmt von A nach B zu bewegen. Solange dieser Wunsch vorhanden ist, wird individuelle Mobilität eine Zukunft haben – als Teil eines zukunftsfähigen Gesamtkonzepts, das die verschiedenen Verkehrsträger intelligent miteinander vernetzt. Unsere Aufgabe ist, dieses Bedürfnis auf nachhaltige Weise zu erfüllen.
Wie viele andere Branchen hat auch die Automobilbranche mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Bedarf es zukünftig eines stärkeren europäischen Protektionismus, um die Lieferungen von wichtigen Komponenten sicherzustellen?
Die maroökonomischen und geopolitischen Unsicherheiten sind groß. Umso mehr müssen wir uns auf das besinnen, was die Weltwirtschaft stark gemacht hat: freier Handel. Darum war und ist unsere Haltung zu Protektionismus klar: Wachstum und Wohlstand gedeihen durch Kooperation – nicht Isolation. Dafür setzen wir uns bei Mercedes-Benz ein. Gleichzeitig gilt es, mit der Politik die Diversifizierung von Lieferketten voranzutreiben, um Engpässen und Abhängigkeiten vorzubeugen. Für uns heißt das etwa, noch stärker direkten Zugang zu Rohstoffproduzenten herzustellen.
Die Lieferkettenprobleme sorgen für einen Anstieg der Einkaufspreise. Werden Kunden diesen zukünftig noch stärker zu spüren bekommen?
Die Inflation steigt derzeit weltweit. Das zeigt sich im Supermarkt und auch beim Autokauf. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach bestimmten Teilen und Rohstoffen, die insbesondere für den Automobilbau nötig sind, deutlich größer als ihr Angebot. Ein Teil der steigenden Einkaufspreise wird sicher auch an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden müssen. Gleichzeitig arbeiten wir bei Mercedes-Benz intensiv daran, durch die Optimierung unserer Prozesse und Strukturen die Mehrkosten zu kompensieren. Dabei sind wir auf einem guten Weg.
Sie selbst haben Ihre gesamte Karriere im Daimler-Konzern gearbeitet und sind damit ein immer seltener werdendes Beispiel. Würde Sie Studierenden heutzutage noch eine Konzernkarriere bei einer Firma empfehlen?
Unbedingt! Ich bin lange dabei und ich glaube, es war nie so spannend wie heute, weil einfach sehr viel in Bewegung ist. Insofern macht es mich stolz, seit fast 30 Jahren für dieses Unternehmen zu arbeiten. Hier habe ich nicht nur einen Job, sondern meine Berufung gefunden. Und das wünsche ich allen, die in Zukunft bei Mercedes einsteigen auch.
Und was hat Sie in der Zeit immer bei Mercedes-Benz gehalten?
Jede Menge: Die Kolleginnen und Kollegen, die Marke, die Produkte, die Geschichte, nicht zuletzt die Vielfalt der individuellen Möglichkeiten, die so ein Unternehmen bieten kann: Ich hatte die Möglichkeit, in ganz verschiedenen Bereichen des Unternehmens zu arbeiten. Jede Station hatte ihre ganz eigenen Herausforderungen und Highlights. Für mich persönlich war sicherlich die Zeit in den USA sehr prägend.
Wir haben nun viel über Krisen gesprochen. Was macht Ihnen persönlich in diesen Tagen Hoffnung?
Im Laufe unserer mehr als 130-jährigen Geschichte gab es immer wieder tiefgreifende Veränderungen. Und Mercedes-Benz ist jedes Mal stärker daraus hervorgegangen. Das wird auch diesmal so sein. Der Stern ist ein Versprechen. Wir sind uns der einzigartigen Geschichte und der großen Bedeutung dieser Marke bewusst und werden sie für die Zukunft weiterentwickeln. Dafür haben wir einen klaren Plan und verfolgen ihn konsequent.