Frau Menne, nach Ihren Stationen bei der Lufthansa und Boehringer Ingelheim sind Sie nun Vorsitzende des American Chamber of Commerce in Deutschland. Was waren die prägendsten Momente, die Sie auf dem Weg zu Ihrer aktuellen Position erlebt haben?
Das ist gar nicht so einfach zu benennen. Ich war 27 Jahre bei der Lufthansa beschäftigt und habe dort sehr viele unterschiedliche Positionen ausgeübt. In der Zeit hatte ich auch die Chance, Neues auszuprobieren und Risiken beispielsweise bei Sanierungen einzugehen. Diese Projekte haben zu einer gewissen Öffentlichkeitswirkung geführt und den Aufsichtsrat 2012 dazu gebracht, mich zur CFO der Lufthansa zu ernennen. Das war damals eine mutige Entscheidung. Da ich wie gesagt bereit bin, Risiken einzugehen, habe ich mich dazu entschieden, meinen Vertrag vorzeitig aufzuheben und etwas ganz anderes zu machen: 100% Familienunternehmen und Pharmabranche. Da die Chemie mit dem CEO nicht passte, hat das nicht funktioniert. Mit zu dem Zeitpunkt 58 Jahren habe ich dann gesagt, entweder werde ich jetzt CEO oder mache Aufsichtsratsmandate. Nachdem Ersteres nicht der Fall war, habe ich mich auf Mandate in den Aufsichtsräten von BMW, Henkel, der Deutschen Post und zwei US-Unternehmen konzentriert. Dadurch, dass ich für deutsche und amerikanische Unternehmen tätig war, entstand die Möglichkeit, als Präsidentin des American Chamber of Commerce in Deutschland zu arbeiten, welche ich vor 15 Monaten angenommen habe.
Gerade in volatilen Zeiten sind Handelsbeziehungen häufig von Unsicherheiten geprägt. Können wir uns aktuell auf unsere Handelspartner verlassen oder bedarf es teilweise eines stärkeren Protektionismus?
Ich bin bereits qua Amt, aber auch aus tiefer Überzeugung absolut für Globalisierung. Und Deutschland hat von der Globalisierung schon immer stark profitiert. Als Staat oder Unternehmen sollte man sich aber überlegen, mit wem Handelspartnerschaften eingegangen werden sollen. Dabei sollten vor allem keine Abhängigkeiten entstehen. Aktuell sehen wir beim Thema Gas, wie erpressbar man dann wird. Protektionismus hilft uns dabei jedoch nicht weiter. Wir können nicht genügend Energie in Deutschland generieren, um den hiesigen Bedarf zu decken. Darum müssen wir Handelsbeziehungen eingehen. Gleiches gilt für erneuerbare Energien. Auch davon werden wir nie den Bedarf mit allein in Deutschland hergestelltem Strom decken. Andererseits müssen wir unsere Güter und Dienstleistungen exportieren können. Der deutsche Markt ist zu klein und auch der europäische ist ungenügend, um unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten.
Insbesondere für globale Krisen ist Kooperation wichtig. Ob beim Klimawandel oder der Pandemie, wir müssen mit Ländern wie China, Saudi-Arabien oder Brasilien zusammenarbeiten. Dafür bedarf es einer interessengetriebenen Politik. Eine Zusammenarbeit ausschliesslich mit Ländern, die unserem Werteanspruch genügen, ist unrealistisch. Trotzdem muss es rote Linien geben. Zum Beispiel wenn seltene Rohstoffe durch Kinder gefördert werden. Ein Lieferkettengesetz ergibt aus meiner Sicht Sinn, um genau diese Parameter zu prüfen. Das sollten jedoch individuelle Einschränkungen sein. Insgesamt brauchen wir einen globalen Handel.
Handelsbeziehungen sind seit Jahrhunderten die Basis für unseren aktuellen Wohlstand und häufig haben wir die Erfahrung gemacht, durch Handel mit unseren Partnern näher zusammenzurücken. Mit China verhält sich dies jedoch konträr. Müssen wir zukünftig auf andere Werte bei der Auswahl unserer Handelspartner achten?
Das ist mit Sicherheit ein von den Medien und der Politik sehr hochgespieltes Thema. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass miteinander zu reden und miteinander Handel zu treiben dazu führt, Menschen besser zu verstehen. Ausserdem ist ein Volk auch nicht immer perfekt durch dessen Regierung reflektiert. Wenn also eine falsche Regierung herrscht, kann das Volk trotzdem demokratische und menschliche Werte vertreten. Deswegen kann Kommunikation und auch Handel durchaus etwas bewirken. Es reicht zwar nicht aus, wenn das Land gleichzeitig ein Despot hat, welcher völlig andere Ideen zur Demokratie und Überwachung des Landes hat. Ein Grundverständnis für demokratische Werte kann jedoch geschaffen und gefördert werden. Dies könnte vielleicht dazu führen, zukünftig eine andere Regierung zu haben, ohne damit hier zu einem Aufstand aufzurufen.
Sie haben bereits rote Linien in Handelsbeziehungen angesprochen. Wo würden Sie eine solche rote Linie ziehen?
Es ist sehr schwer, eine solche rote Linie schriftlich festzulegen. Die USA haben dies zuletzt versucht mit dem Importverbot von Waren, welche aus Gegenden kommen, wo Menschenrechtsverletzungen an Uiguren stattfinden. Allerdings werden andere Fälle in anderen Ländern weniger intensiv geprüft. Es bedarf also eines Fingerspitzengefühls. Ich kenne diese Probleme aus der Compliance. Dass eine Verwicklung in Bestechungen falsch ist, ist selbstverständlich. Darf ich aber mit einem Lieferanten auf dessen Einladung in die Oper gehen? Hier wiegen Firmen unterschiedlich ab. Gleiches gilt auf politischer Ebene. Es ist selbstverständlich, dass Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen nicht geduldet werden. Darf ich deshalb aber kein Öl aus Katar importieren oder dort keine Fussballweltmeisterschaft durchführen? In Unternehmen stelle ich folgenden Fragen: Möchtest du es morgen in der Zeitung lesen? Möchtest du es deiner Mutter oder deinen Mitarbeitenden erklären? Kannst du das? Wenn die Antworten Ja lauten, dann hat man auch Argumente. Es ist jedoch immer eine situationsabhängige Entscheidung. Dabei sollte meiner Meinung nach eher interessengetrieben als rein wertegetrieben agiert werden.
Der Krieg in der Ukraine hat Europa noch näher mit unseren westlichen Partnern gebracht. Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer erneuten Verhärtung der Ost-West-Fronten gerade in Bezug auf Handelsbeziehungen ein?
Die Verhärtungen mit Russland sind aktuell unglaublich stark, da dieser Angriffskrieg absolut inakzeptabel ist. Dazu werden Menschenrechtsverletzungen begangen und Infrastruktur und Zivilgesellschaft angegriffen, was die Fronten weiter verhärtet. Nichtsdestotrotz zeigt uns die Menschheitsgeschichte, beispielsweise durch die deutsch-französische Freundschaft, dass wir auch aus solchen Situationen rauszukommen vermögen und eine erneute Annäherung erfahren können. Es wird mit Sicherheit jedoch kein einfacher Prozess. Positiv ist aber insbesondere der Zusammenhalt mit unseren EU- und NATO-Partnern hervorzuheben. Dieser Punkt könnte entscheidend für zukünftige Entwicklungen sein.
Sie haben Ihre lange Vergangenheit bei der Lufthansa bereits erwähnt. Die Luftfahrtbranche steht nach zwei Jahren Pandemie, erhöhten Energiekosten und Bestrebungen zu mehr Umweltschutz stark unter Druck. Was denken Sie, wie sich dieser Wirtschaftszweig in Zukunft entwickeln wird?
Ich habe gerade erst die Mitteilung des Handelsblatts gelesen, wonach die Lufthansa die operative Gewinnerwartung auf 1,5 Milliarden Euro angehoben hat. Somit steht die Airline aktuell sehr gut da. Durch geringere Kapazitäten und höhere Preise kam es während dieser Krisen zu einer künstlichen Konsolidierung. Davon profitiert die Lufthansa aktuell. Ausserdem sind Krisen Teil eines Zyklus. Wir hatten in den letzten 25 Jahren SARS, 9/11 und Ebola. Diese Krisen sorgen häufig für Konsolidierungen. Aktuell ist der Kerosinpreis hoch. Dies wird auf den Endpreis aufgeschlagen. Das ist eine gute Sache und sollte beim Benzin ähnlich sein, damit wir weniger verbrauchen. Langfristig werden wir dennoch auf andere Lösungen setzen. Ich persönlich bin in ein Unternehmen investiert, welches synthetische Kraftstoffe herstellt. Menschen brauchen Begegnungen und wollen sich global bewegen, davon bin ich überzeugt. Deshalb glaube ich auch an eine Zukunft für die Flugbranche.
Sie haben Ihr Engagement im Bereich E-Fuels bereits angesprochen. Gerade in dem aktuellen Umfeld stellt sich die Frage, wieso diese Technologien nicht mehr gefördert wurden und wir weiterhin von herkömmlichen Treibstoffen abhängig sind. Welches Katalysators bedarf es Ihrer Meinung nach, damit diese Industrie zukünftig florieren kann?
Die Menschheit ist eine traurige Spezies. Seit über 40 Jahren wissen wir um die Klimakatastrophe, die uns erwartet, wenn wir weitermachen wie aktuell. Das hat uns aber nie von der Nutzung fossiler Brennstoffe abgehalten. Vor allem, weil diese so günstig waren. Deshalb bedarf es solcher Krisen wie aktuell, um fast Prohibitivpreise zu erreichen, damit wir anfangen, erneuerbare Energien oder andere Technologien besser zu fördern. Krisen sind in dieser Hinsicht wahre Katalysatoren. Ohne die Disruption und den Schmerz solcher Phasen verändern wir uns und unser Verhalten nur ungern.
Höhere Preise würden das Fliegen zu einem Luxusgut machen. Sie haben die Wichtigkeit von kulturellem Austausch zuvor betont. Wird dieser dann einer bestimmten Gruppe vorbehalten und ist dies nicht sozial unfair?
Das ist eine interessante Diskussion. Wo beginnt dann aber der Luxus? Ist Kaschmir auch eine soziale Ungerechtigkeit? Oder ein Stück gutes Fleisch oder Fisch? Das hängt meistens mit der Wertschätzung zusammen. Früher war es normal, für einen Urlaub zu sparen. Heute kann man von Hamburg übers Wochenende nach Nizza fliegen, für weniger als 100 Euro. Ich empfinde es nicht als soziale Ungerechtigkeit, wenn es sich jemand nicht leisten kann, für zwei Tage durch die Weltgeschichte zu fliegen. Vielmehr sollte es wieder eine höhere Wertschätzung für bestimmte Güter geben. Und diese sollte sich auch an einem Preis festmachen. Aber ein Gut zu verscherbeln, mit dem vorsichtig umgegangen werden sollte, halte ich für keine gute Idee.
Der Mangel an Öl und Gas lässt nicht nur Kerosin teurer werden, sondern fördert auch eine Bewegung, die sich für einen stärkeren Einsatz von weniger sauberen Energieförderungsmassnahmen einsetzt. Wie stehen Sie dazu?
Das ist teilweise obszön. Wir hatten einen der wärmsten Oktober seit über 100 Jahren. Trotzdem die Meinung zu vertreten, auf Massnahmen wie Fracking zurückzugreifen, ist verrückt. Das wird unsere Probleme nur verschärfen. Wir erreichen das 1,5 Grad Ziel bereits jetzt schon nicht mehr. Deshalb muss diese Zeit nun vielmehr genutzt werden, um massiv in neue Technologien zu investieren und die Not auch durch eigene Verhaltensänderungen zu bekämpfen. Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass alles trotz Pandemie, Krieg und Klimawandel so bleiben sollte wie bisher.
Sie sind und waren Aufsichtsratsmitglied von mehreren internationalen Grosskonzernen. Mit diesem Job geht gleichzeitig eine grosse Verantwortung einher. Inwiefern gehen Sie damit um, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden, wenn Sie mehreren Aufsichtsräten gleichzeitig angehören?
Ich halte es für richtig, nicht in zu vielen Aufsichtsräten vertreten zu sein. Der Fachbegriff dafür ist Overboarding. Zu betonen ist, dass es Themen in Unternehmen gibt, die sektorenunabhängig sind. Beispielsweise Non Financial Targets. Darunter fällt auch das Thema Nachhaltigkeit. Da Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen sich in diesem Bereich positionieren müssen, ist es vielleicht sogar hilfreich, mit Aufsichtsräten zusammenzuarbeiten, die solche Prozesse bereits in anderen Unternehmen begleiten. Vorstände haben diese Perspektive häufig nicht, da sie fest im operativen Geschäft eingebunden sind. Ausserdem sind auch Transferleistungen zwischen unterschiedlichen Branchen sehr wichtig. Bei Johnson Controls International haben wir an dem Thema Smart Building gearbeitet und es ging um die Zusammenarbeit bei der Logistik. Da konnte ich durch meine Erfahrung mit der DHL Expertise in diesem Thema einbringen. Deshalb halte ich es für förderlich, in unterschiedlichen Aufsichtsräten zu sitzen. Was für mich nicht mehr nachvollziehbar wäre, wenn Vorstandsvorsitzende zwei oder mehr Aufsichtsratsmandate haben. Das halte ich nicht für realistisch ausführbar.
Sie haben sowohl in deutschen als auch in internationalen Aufsichtsräten mitgearbeitet. Nehmen Sie Unterschiede in der Arbeitsweise wahr? Insbesondere da in deutschen Aufsichtsräten auch Arbeitnehmervertreter stark vertreten sind.
Es gibt schon grosse Unterschiede. Einzig der Arbeitsaufwand und die Verantwortung bleiben gleichgross. Im deutschen System ist der Aufsichtsrat tatsächlich ein Aufsichtsorgan und kümmert sich somit nicht um das operative Geschäft. Da gibt es eine klarere Abgrenzung als in anderen Ländern. In Aufsichtsräten in der Schweiz oder den USA sind Sie viel näher am operativen System. Häufig in der Rolle eines Non Operational Directors oder eines Non Executive Directors. Da geht man noch etwas mehr ins Detail. Aufgrund des paritätischen Systems gibt es in Deutschland meist gleich viele Aufsichtsratsmitglieder von Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite. Dieses Verhältnis hat einen gewissen Einfluss, insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit. Mitarbeitende haben häufig ein hohes Interesse an einem langhaltigen Erhalt der Arbeitsplätze. Das wird auch durch Modernisierung gefördert, welche zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen kann. Diese langfristige Perspektive sorgt aber insbesondere für ein weniger volatiles Handeln und für ein besseres Risikomanagement. Lediglich ein Anti-Globalisierungsgedanke, um möglichst viele Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, halte ich für hinderlich. In den Unternehmen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, konnte ich diesen Gedanken nie feststellen.
Die Verantwortung bleibt aber in allen Fällen gleich gross. Vor allem in Deutschland hat sich die Gesetzgebung diesbezüglich in den vergangenen Jahren geändert. Als Aufsichtsrätin hat man mittlerweile eine hohe Haftung, um sicherzustellen, dass interne Kontrollsysteme und Risikomanagementsysteme funktionieren. Auch das Non Financial Reporting muss vom Aufsichtsrat geprüft werden. Hier kann sich der Haftung ebenfalls nicht mehr entzogen werden. Vor 20 Jahren war das ganz anders. Da konnte es schon vorkommen, dass jemand vier Mal im Jahr in einer Sitzung das abnickte, von dem der Aufsichtsratsvorsitzende sagte, es sei richtig. Diese Zeiten sind vorbei.
Stellt das paritätische System nicht insofern ein Problem da, dass Arbeitnehmervertreter auch Entscheidungen verhindern können, welche für die Zukunft des Unternehmens wichtig sind, aber auf Kosten der Arbeitsplätze gehen könnten?
Das ist, denke ich, die Kunst der Führung. Unabhängig davon, ob man in einem Vorstand oder einem Aufsichtsrat sitzt. Man muss es schaffen, Mitarbeitenden zu erklären, warum Restrukturierungen notwendig sind, um ein Unternehmen nachhaltig zu erhalten. Wenn Sie dies gut erklären können und transparent mit Mitarbeitenden und Arbeitnehmerverbänden kommunizieren, dann treffen Sie selten auf Unverständnis. Die meisten verstehen, warum ein Heizer auf einer E-Lok begrenzt sinnhaft ist. Dann kann gemeinsam überlegt und eine Lösung gefunden werden. Alle werden Sie jedoch nie überzeugen können.
Es gibt natürlich auch das Gegenteil, wenn Investoren Druck für Restrukturierungen aufbauen, die im Zweifelsfall unsinnig sind. Wie häufig sind Aktienkurse gestiegen, nur weil ein Unternehmen gesagt hat, es entlässt 1000 Mitarbeitende? Das ist teilweise nicht nachhaltig und nur eine Schlagzeile, wodurch allein das Management belohnt wurde. Es sollte vielmehr eine Abwägung und Überzeugung aller Stakeholder sein. Sowohl Investoren, Mitarbeitende, aber auch Gemeinden sollten von einem Plan überzeugt werden, damit alle am gleichen Strang ziehen.
Sie betreiben eine Galerie, die sich insbesondere auf alternative Kunstströmungen konzentriert. Was sind die Gründe, weshalb Sie Ihren Fokus auf alternative statt klassische Kunst setzen?
Ich würde die Kunst nicht als alternativ bezeichnen. Ich stelle lebende Künstler aus, welche zeitgenössische Kunst machen. Häufig Skulpturen, was durch die Räumlichkeit gegeben ist. Was mich interessiert, ist die Möglichkeit der Kunst, als Vehikel zu dienen, um ambivalentes Denken zu fördern. Heutzutage neigen wir viel zum Schwarz-Weiss-Denken. Ob in den Medien oder der Politik. Häufig gibt es nur wahr oder falsch und wenig Differenziertes. In der Kunst existiert das nicht. Und im wahren Leben auch nicht. Eine Skulptur oder ein Bild kann immer mit unterschiedlichen Augen betrachtet werden. Und aus einer anderen Perspektive kann sich ein ganz neues Bild ergeben. Über diese Eindrücke kann dann gesprochen werden. Und man kann sich von diesen Eindrücken überraschen lassen. Diesen Lerneffekt können Sie dann auf andere Lebensbereiche übertragen. Greifen wir das Beispiel der Restrukturierungen erneut auf. Sie können versuchen, die Emotionalität und das Schwarz-Weiss-Denken zu eliminieren und zunächst zuzuhören, neue Blickwinkel kennenlernen. Dann entsteht vielleicht eine Perspektive, die Sie vorher noch nicht gesehen haben. Daraus lässt sich ein Gesamtbild machen, auf das sich vielleicht alle einigen können. Kunst sollte meiner Meinung nach zum Austausch über unterschiedliche Meinungen genutzt werden.
Sie verstehen Kunst also als Möglichkeit zum Brückenbauen. Was kann Kunst in Krisenzeiten, wie wir sie momentan mit Pandemie, Krieg und turbulenter Wirtschaftslage erleben, für die Gesellschaft leisten?
Wir müssen erkennen, mehr als nur Lebewesen zu sein. Gerade in Zeiten von Krisen. Denn was uns auszeichnet, ist, in der Lage zu sein, Kultur zu schaffen. Ameisen können Kriege führen. Schimpansen können Rudelkriege führen. Menschen können auch Kriege führen. Aber wir Menschen können auch Kunst und Kultur schaffen. Daran sollten wir uns häufiger erinnern und uns daran erfreuen. Wir müssen uns nicht auf das Elementare beschränken. Natürlich ist das ein Luxus in manchen fürchterlichen Situationen. Im Jemen oder in der Ukraine ist das sicherlich aktuell ein grosser Luxus. Und so schlimm es klingen mag, auch in Konzentrationslagern gab es Gedichte und Lieder. Diese haben den Leuten Mut gemacht. Das kann Kunst und deshalb brauchen wir sie.
Das Thema Mut würden wir gerne zum Schluss aufgreifen: Was macht Ihnen persönlich in diesen Tagen Mut und Hoffnung?
Immer wieder Leute zu treffen, die sehr positiv und lösungsorientiert an Situation herangehen. Wir lassen uns häufig von Skandalnachrichten beeinflussen. Dann viele Individuen zu treffen, die nicht «die Welt geht unter» sagen, sondern die fragen: «Welchen Beitrag kann ich leisten?» – das macht mir Mut.