Unternehmen stecken häufig in einer vermeintlichen Dilemma-Situation: Einerseits können sie nur mit einer leistungsfähigen Belegschaft am Markt bestehen und müssen daher ihre Mitarbeiter zu Hochleistung motivieren. Andererseits können sie nur mit einer gesunden Belegschaft die erhöhten Anforderungen gut bewältigen und müssen daher für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter Sorge tragen und Verantwortung übernehmen.

Gute Führung kann diese Dilemma-Situation auflösen. Kernaufgabe von Führungskräften ist es, Mitarbeiter zu inspirieren, mobilisieren und schliesslich zu Hochleistung führen. Doch um Hochleistung langfristig zu fördern und zu erhalten haben Führungskräfte noch eine zweite Kernaufgabe: Belastungen abbauen und Erschöpfung vermeiden. Damit tragen Führungskräfte eine doppelte Verantwortung: Hochleistung sichern und Erschöpfung vermeiden. Und das geht Hand in Hand.

Hohe produktive Energie durch transaktionale und transformationale Führung

Wie stark die Mitarbeiter eines Unternehmens inspiriert und mobilisiert sind, zeigt sich in der organisationalen Energie. Organisationale Energie ist die Kraft, mit der eine Organisation zielgerichtet Dinge bewegt (Bruch & Vogel, 2009). Anhand der beiden Dimensionen Intensität und Qualität können vier verschiedene Energiezustände in einer Organisation identifiziert werden (Abb. 1): produktive Energie, angenehme Energie, korrosive Energie und resignative Trägheit.

Abbildung 1. Die vier Zustände Organisationaler Energie

Mitarbeiter von Organisationen im Zustand produktiver Energie zeigen ein hohes Aktivitätsniveau, sind begeistert und strengen sich an. Alle vorhandenen Potentiale sind mobilisiert und auf das Organisationsziel ausgerichtet.

Mitarbeiter einer Organisation im Zustand angenehmer Energie sind zufrieden mit dem Status Quo und haben ein allgemein tiefes Aktivitätsniveau. Dieser Zustand wird häufig aufgrund langanhaltender Erfolge erreicht und gibt der Organisation Stabilität und Ruhe. Dauert dieser Zustand jedoch zu lange an, besteht die Gefahr von Stagnation.

In Organisationen mit hoher korrosiver Energie herrscht ein hohes Aktivitätsniveau vor, jedoch wird die aktivierte Energie destruktiv genutzt, zum Beispiel für interne Kämpfe. Dieser unerwünschte Zustand kann durch Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten oder Bedrohungen entstehen.

Organisationen im Zustand resignativer Trägheit haben Schwierigkeiten ihr Potential zu mobilisieren, sie zeichnen sich durch ein tiefes Aktivitätsniveau aus. Diesen Zustand erlangen Organisationen entweder nach anhaltenden, wenig erfolgreichen Changeprozessen oder wenn sich die Organisation in eine ungewünschte Richtung entwickelt. Mitarbeiter erleben hier häufig Enttäuschung und Frustration.

Zahlreiche Forschungsarbeiten am Institut für Führung und Personalmanagement (I.FPM)  der Universität St.Gallen zeigen auf, dass Führung der entscheidende Treiber der Energie in Unternehmen ist. Besonders bestimmend für die Energie im Unternehmen sind ergebnisorientierte bzw. transaktionale und inspirierende bzw. transformationale Führung.

Transaktionale Führung ist stark austauschorientiert und rational geprägt. Mitarbeiter „tauschen“ Arbeitseinsatz, Engagement und Motivation gegen Belohnungen wie Lob, Wertschätzung und Gehalt. Feedback geben und Feedback nehmen spielen bei transaktionaler Führung eine grosse Rolle. Um Mitarbeiter jedoch zu inspirieren und mobilisieren, reicht es nicht, wenn Führungskräfte transaktional führen. Stattdessen müssen sie zusätzlich transformational führen. Transformationale Führungskräfte transformieren ihre Mitarbeiter über vier Einflusswege: Sie beeinflussen die Werte der Mitarbeiter im Sinne der Unternehmensziele, zeichnen ein klares Bild der Zukunft, regen ihre Mitarbeiter geistig an und führen individuell, indem sie die Persönlichkeit und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter berücksichtigen (Bass & Avolio, 1990). Dadurch erhöht sich die emotionale, kognitive und verhaltensbezogene produktive Energie im Unternehmen. Denn transformationale Führungskräfte binden ihre Mitarbeiter emotional durch die starke Wirkung einer Vision und durch individuelle Beachtung. Dies erhöht die emotionale produktive Energie. Sie stimulieren die Mitarbeiter intellektuell und regen deren Kreativität und kritisches Denken an. Dadurch erhöht sich die kognitive produktive Energie im Unternehmen. Schliesslich fördern sie die verhaltensbezogene produktive Energie, indem sie ein Vorbild für ihre Mitarbeiter sind und ihre Mitarbeiter dazu bringen, sich für das Erreichen der Vision und der gemeinsamen Ziele einzusetzen.

Transaktionale und transformationale Führung sind damit keine sich ausschliessenden, sondern zwei sich ergänzende Führungsstile. Die weltweit beste Art der Führung ist eine Kombination aus einer starken transaktionalen Führung und einen starken transformationalen Führung, die auf dieser Basis aufsetzt und die rein rational geprägte transaktionale Führung durch einen emotionalen Ansatz komplettiert.

Abbau von Erschöpfung durch gesunde Führung und Vermeidung der Beschleunigungsfalle

Gesund führen

Gesunde Führung setzt auf der Basis transaktionaler und transformationaler Führung auf und ist eng und explizit auf die Gesundheit der Führungskräfte und Mitarbeiter ausgerichtet. Gesunde Führung hat zwei Ausprägungen: Gesunde Mitarbeiterführung und gesunde Selbstführung. Gesunde Mitarbeiterführung betrachten wir aus Sicht der direkten Mitarbeiter einer Führungskraft.

Gesunde Mitarbeiterführung beinhaltet, dass Führungskräfte sich für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich fühlen, auf gesundheitliche Warnsignale achten und ihnen ein gutes Vorbild in puncto Gesundheit sind. Gesunde Selbstführung betrachten wir aus Sicht der Führungskraft. Gesunde Selbstführung beinhaltet, dass Führungskräfte mit ihrer eigenen Gesundheit verantwortungsvoll umgehen und bewusst auf gesundheitliche Warnsignale bei sich achten.

Gesunde Selbstführung ist die Voraussetzung für gesunde Mitarbeiterführung. Damit eine Führungskraft ein authentisches Vorbild in puncto Gesundheit sein kann, muss sie zunächst auf für die eigene Gesundheit sorgen. Tut sie dies nicht, hat das nicht nur negative Auswirkungen auf die eigene Gesundheit, sondern auch auf die ihrer Mitarbeiter. Denn Mitarbeiter nehmen Inkonsistenzen im Verhalten ihrer Führungskraft wahr, wenn diese ihnen z.B. im Krankheitsfall Schonung nahe legt, selbst jedoch krank zur Arbeit erscheint. Führungskräfte büssen Glaubwürdigkeit ein und beeinflussen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter negativ, wenn sie Gesundheit predigen, sich selbst jedoch nicht gesund führen.

Die Beschleunigungsfalle vermeiden

Für die Förderung und den Erhalt einer von Gesundheit im Unternehmen sind nicht nur gesund führende Führungskräfte entscheidend, sondern Unternehmen müssen zusätzlich die Beschleunigungsfalle überwinden bzw. vermeiden. Die Beschleunigungsfalle beschreibt die kollektive Überhitzung eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Unternehmen in der Beschleunigungsfalle überlasten ihre Mitarbeiter durch zu viele parallele, gleich hoch priorisierte Aufgaben, für die zu wenige Ressourcen zur Verfügung stehen – und das nicht phasenweise, sondern dauerhaft. Folgen sind emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter und schliesslich ein Ausbrennen des gesamten Unternehmens.

Eine Studie des I.FPM-Centers for Healthy Leadership bei 96 Unternehmen aus dem Jahr 2012 zeigt, dass ein gezielter Wechsel zwischen Phasen der Hochleistung und der Regeneration besonders wirkungsvoll ist, um die Beschleunigungsfalle zu vermeiden. 44% der befragten Unternehmen legen nach anstrengenden Veränderungsphasen bewusst Auszeiten zur Regeneration und Reflexion ein. Die Gesundheit im Unternehmen verbessert sich dadurch um 22%.

 

Gerade Top Führungskräfte haben eine zentrale Vorbildfunktion

Studien des I.FPM bestätigen, wie wichtig ein leistungsfähiges und für die eigene Gesundheit sensibilisiertes Top Management für die Gesundheit im Unternehmen ist.

Top Manager müssen als zentrale Entscheidungsträger im Unternehmen eine Vision entwickeln, die Strategie ableiten, bei der Implementierung mitwirken und ihren Beitrag zu einer gesunden Unternehmenskultur leisten – unter anderem, indem sie ein gesundes und engagiertes Vorbild sind. Wird das Top Management durch Krankheit oder emotionale Erschöpfung einzelner Mitglieder geschwächt, führt dies zu einer Beeinträchtigung der Führung des Top Managements, seiner Gesundheit und schliesslich der Leistung im gesamten Unternehmen.

Eine Studie des I.FPM-Centers for Healthy Leadership bei 61 Unternehmen mit Antworten von 242 Top Managern zeigt, dass der durchschnittliche Top Manager im deutschsprachigen Raum sich nach Selbsteinschätzung wenig emotional erschöpft fühlt, selten krank zur Arbeit erscheint und sich gesund führt. Doch es gibt auch Top Manager, bei denen emotionale Erschöpfung, Präsentismus (= krank zur Arbeit erscheinen) und gesunde Selbstführung besonders negativ oder besonders positiv ausgeprägt sind, s. Abbildung 2. So ist Präsentismus bei 65% kein Problem, bei 3% jedoch ein grosses Problem, da sie über 10 Tage pro Monat trotz erheblicher Gesundheitsprobleme zur Arbeit gehen. Während bei 45% die Arbeitsleistung an diesen Tagen überhaupt nicht eingeschränkt ist, ist sie bei 8% sehr stark eingeschränkt. Ähnlich verhält es sich bei der emotionalen Erschöpfung von Top Managern. 43% fühlen sich überhaupt nicht erschöpft, 12% jedoch stark und 8% sogar sehr stark emotional erschöpft.

Abbildung 2: Anzahl an Präsentismus-Tagen und eingeschränkte Leistung an diesen Tagen bei Top Managern

Bei gesunder Selbstführung zeigt sich, dass sich ein Grossteil der Top Manager weder besonders gesund noch überhaupt nicht gesund führt: 68% zeigen hier mittlere Werte, nur 4% sehr gute Werte und 0% sehr schlechte Werte, s. Abbildung 3.

Abbildung 3: Gesunde Selbstführung und emotionale Erschöpfung der Top Manager

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Heike Bruch ist seit 2001 Professorin und Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Sie studierte an der Freien Universität Berlin, promovierte an der Universität Hannover, arbeitete zwischen 1999 und 2001 an der London Business School und legte 2001 ihre Habilitation zum Thema „Leader’s Action“ an der HSG ab. Sie ist u.a. in den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) und des Demographienetzwerks (ddn) und begleitete Bundeskanzlerin Angela Merkel als Expertin für Demographiefragen. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Preise gewonnen, sechs Bücher geschrieben, weitere sechs herausgegeben und mehr als 110 Zeitschriften- und Buchbeiträge veröffentlicht. Sie berät und coacht  international Unternehmen auf Vorstandsebene zum Thema Leadership, Change und High Performance Organisationen. Sandra Kowalevski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St.Gallen. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit dem Thema „Einfluss des Top Managements auf emotionale Erschöpfung und Performance“. Parallel arbeitet sie als Consultant in der energy factory St.Gallen AG, dem praxisorientierten Spin-off des I.FPM. Sie studierte Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie und Nebenfach Betriebswirtschaftslehre an der Universität Freiburg in Deutschland. Zudem absolvierte sie ein Studium zur Betriebswirtin an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Freiburg.