Frau Weimann, Sie sind Gründerin des Startups JoinPolitics. Möchten Sie das Modell dahinter unserer Leserschaft einmal in ihren eigenen Worten erklären?
Sehr gerne! Was wir mit JoinPolitics machen, ist, dass wir die vielversprechendsten Talente für die Politik identifizieren und diese dann fördern. Wir suchen dabei nach umsetzungsstarken Persönlichkeiten mit Ideen und Visionen für die grossen Fragen unserer Zeit, die ihre Ansätze mit unserer Unterstützung dann kritisch reflektieren, testen und weiterentwickeln und schlussendlich politisch umsetzen. Wir verstehen uns dabei als die erste überparteiliche Anlaufstelle für Ausnahmetalente mit fundierten Ideen für die Politik. Unsere Talente unterstützen wir dann konkret mit einem Startkapital von bis zu 50.000 Euro. Ausserdem vernetzen wir die Talente und ihre Teams mit Persönlichkeiten aus Politik, Medien, Sport, Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Zudem bieten wir inzwischen ein recht umfangreiches kursartiges Trainingsprogramm an, das viele relevante Skills für eine Karriere in der Politik vermittelt.
Verfolgt die Förderung dann nur das Ziel, die Talente zu Mandatsträgern zu machen oder werden auch Talente gefördert, deren primäres Ziel es nicht ist, ein politisches Mandat zu erlangen?
Wir haben natürlich viele Talente, die sich ganz klar zum Ziel setzen, in absehbarer Zeit Oberbürgermeister oder Bundestagsmitglied zu werden. Wir fördern aber häufig auch Talente und Teams, die sich zunächst weniger auf Mandate, sondern eher auf ein konkretes Thema fixieren, für das sie eine Lösung entwickeln wollen.
Verena Hubertz, heute stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag ist ein Beispiel für ersteren Ansatz. Für Verena, als Mitglied der SPD, war klar, dass sie ein zukunftsfähiges Rentenkonzept entwickeln will, bei welchem Renteneinlagen in einen Staatsfonds investiert werden. In ihrer Wahrnehmung wurde sich dieser Thematik über das ganze Parteienspektrum hinweg nicht in ausreichendem Aussmass gewidmet. Sie hat dann eine parteiübergreifende Initiative lanciert, um sich genau dieser Thematik hinzuwenden. Schlussendlich wurde sie dann in den Deutschen Bundestag gewählt und kann ihr Vorhaben jetzt mit legislativer Gewalt weiterverfolgen.
Aber wir fördern auch Talente, die ohne Parteizugehörigkeit auf uns zukommen und sich der Politik zunächst über ein bestimmtes Thema nähern. Beispielsweise fördern wir Tiaji Sio, die für die Modernisierung der Personalstruktur im Verwaltungswesen eintritt und mit unserer Hilfe konkrete Änderungsvorschläge hierfür entwickelt hat. Durch ihr Talent war für uns recht schnell klar, dass sie an die Frontlinie der Politik gehört. Über uns hat sie dann verschiedenste Parteien kennenlernen können. Schlussendlich ist sie dann dem Bündnis 90 / Die Grünen beigetreten und geht dort nun ihren eigenen politischen Weg.
Was waren Ihre Beweggründe, dieses Modell hinter JoinPolitics zu entwickeln?
Mit dem Brexit Votum, der Wahl Donald Trumps und dem Erstarken der AfD im Jahr 2016 wurde mir erstmals bewusst, wie fragil Demokratie eigentlich sein kann.
Aus dieser Erkenntnis heraus und vor dem Hintergrund einer Forsa Umfrage, nach welcher zwischen 50 und 60 Prozent der Deutschen keiner Partei zutrauen, mit den Herausforderungen unserer Zeit fertig zu werden, habe ich mich dann schliesslich gefragt, wie wir es dennoch hinbekommen könnten, ein Klima zu schaffen, in welchem wir konstruktiv an den weiterhin allgegenwärtigen und grossen Probleme unserer Zeit arbeiten. Nach langem Nachdenken waren meine beiden Haupterkenntnisse folgende: Erstens, schafft es Politik nicht, mit den Veränderungen unserer Umwelt in ausreichendem Ausmass Schritt zu halten und zweitens haben wir ein riesiges Talentproblem in der Politik. Die Mitgliederzahlen der Parteien sinken kontinuierlich. Und obwohl grundsätzlich enorm viele grossartige Talente mit guten Ideen existieren, die eigentlich auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und politisches Format hätten, zieht es diese in die Wirtschaft, zu Start-ups oder NGOs, aber eben nicht in die Politik. Dort bräuchten wir Sie aber am dringendsten. Ich habe dann für mich entschlossen, diese Brücke zwischen den Talenten und der Politik bauen zu wollen. Hieraus ist dann JoinPolitics entstanden.
Vor der Gründung von JoinPolitics haben Sie selbst für verschiedene Social Ventures gearbeitet. Inwiefern hat Ihnen die Erfahrung aus diesen Stationen bei der Gründung von JoinPolitics geholfen?
Meine berufliche Vorerfahrung hat mir tatsächlich enorm geholfen! Zum einen konnte ich viele Leute kennenlernen, die ebenfalls sehr Impact-Driven sind und aus der Branche ausgestiegen sind, als Sie nicht mehr in ausreichendem Ausmass diesen Impact generieren konnten. Diese Präzedenzfälle haben mir selbst die Sicherheit gegeben, den Schritt hin zur Gründung von JoinPolitics zu gehen.
Zum anderen gibt es in der Social Venture Welt sehr viele Förderprogramme, die es über die Jahre geschafft haben, die besten derjenigen anzulocken, die gesellschaftlichen Impact anstreben. Für unser Metier versuchen wir, vieles aus diesen Strukturen zu übernehmen und von ihnen zu lernen. Konkret geht es bei JoinPolitics, wie in der Social Ventures Welt darum, neben allen notwendigen und sinnvollen Strukturen auch eine Kultur des Scheiterns zu etablieren, damit die grossen Talente den Mut fassen, es in erster Linie überhaupt zu probieren. Insgesamt versuchen wir, das Beste aus drei Welten zu kombinieren. Wir wollen das dynamische unternehmerische Denken aus der Venture Welt zusammen mit dem langen Atem der Zivilgesellschaft und dem reflektierten und diplomatischen Geschick der Politik bei JoinPolitics etablieren. Diese drei Komponenten versuchen wir dann zusammenzubringen, um damit ein neues Ökosystem für politisches Denken zu schaffen.
Zudem habe ich in meiner damaligen Rolle auch sehr viel Talent Scouting betrieben. Über die Zeit hinweg konnte ich dabei mein Blick für Talenten ganz gut schärfen. Dies ist insofern so wichtig, als dass in der Venture Welt der Erfolg von Start-ups immer sehr zentral von den Gründerpersönlichkeiten und den Persönlichkeiten innerhalb der Teams abhängt. Ideen gibt es immer viele, aber man braucht auch starke Personen, um diese umzusetzen. In einem politischen Umfeld ist das nicht anders. Hier braucht es eigentlich fast noch kompetenteres Personal, da die Problemstellungen meist ungleich komplexer sind.
Die Auswahl Ihrer Talente erfolgt durch ein Auswahlkomitee, welches schlussendlich darüber entscheidet welche politische Idee finanziert wird und welche nicht. Wie lässt sich ein solcher Prozess mit demokratischen Prinzipien vereinbaren?
Das ist tatsächlich eine gute Frage. Wir sind uns insbesondere bei der Auswahl der Talente unserer grossen Verantwortung bewusst, kluge und gute Entscheidungen zu treffen. Schliesslich müssen wir zum einen unseren vielen Spendern gerecht werden und dabei andererseits genau die Talente auswählen, von denen am wahrscheinlichsten zu erwarten ist, dass sie einen positiven Beitrag für unsere Demokratie leisten.
Mit unserer Förderung wollen wir dabei aber nicht einfach Wahlkampfkassen füllen. Hierfür gibt es auch wirksamere Instrumente. Viel mehr steht im Fokus, die vielversprechendsten Talente, von denen es in der Tat gar nicht so viele gibt, bei der Entwicklung von wirklich überzeugenden Lösungsvorschlägen zu unterstützen. In jeder Bewerbungsrunde hatten wir bisher über 100 Bewerbungen, von welchen wir 70% recht schnell aussieben können. Von den verbleibenden Kandidaten wählen wir dann rund zehn aus.
Was wären Kriterien, nach denen Bewerber ausgewählt werden?
Wir schauen im Kern auf drei Dinge. Das Talent, die Idee und die Werte des Bewerbers. In puncto Talent versuchen wir während dem Bewerbungsprozess herauszufinden, was die Person motiviert, in die Politik zu gehen. Wir wollen dabei auch herausfinden, ob die Person den Themen, für die sie einsteht, auch wirklich authentisch gegenübersteht. Wir wollen zudem herausfinden, ob sie auch die Fähigkeiten, den Mut, die Empathie und den Verstand mitbringt, die es als Politiker braucht. Bei der Bewertung der Idee versuchen wir stets zu hinterfragen, ob die Person wirklich eine innovative Idee hat, mit der sie eine grosse Wirkung erzielen kann. Dabei sollte die Idee auch die realistische Perspektive haben, schlussendlich umgesetzt zu werden.
In Sachen Werte schauen wir besonders darauf, dass die Bewerber Anschauungen vertreten, die sich mit der Werteagenda von JoinPolitics vereinbaren lassen. In dieser Agenda sind Dinge, wie Respekt, Offenheit, Integrität, Zukunftsorientiertheit, und eine klare Abgrenzung gegenüber Antidemokraten festgehalten.
Basierend auf all diesen Kriterien prüfen wir schlussendlich unsere Kandidaten. Dabei ist es egal, welches Parteibuch sie besitzen. Dieser Aspekt ist enorm wichtig. Damit schaffen wir nämlich die Grundlage für überparteilichen Austausch zwischen unseren Geförderten, der einen ganz besonderen Mehrwert bietet.
Wie sieht dann das Bewerbungsverfahren konkret aus? Wie prüfen Sie die Bewerber auf die genannten Kriterien?
In einem ersten Schritt müssen Bewerber bei uns wie so eine Art «Political Impact Plan» einreichen. Man kann sich das so ein bisschen wie einen Businessplan vorstellen. Nur, dass dieser eben auf die Politik gemünzt ist. Bewerber müssen dort, einmal ihre ganze Vision darlegen und auf konkrete Handlungsschritte herunterbrechen. Darauf folgt dann eine recht umfangreiche Interviewphase, bei welcher wir versuchen, die Leute gut kennenzulernen und persönlich mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um ihrer Motivation auf den Grund zu gehen. Und natürlich screenen wir auch den öffentlichen Auftritt der Bewerber, zum Beispiel in den Sozialen Medien. Manchmal genügt dann schon einen Blick auf Twitter, um zu sehen, ob diejenige Person grundsätzlich demokratiefördernd ist oder eher polarisiert.
Die erste Runde unseres Selektionsprozesses führt ein Auswahlgremium, unser sog. Talent Comittee, durch. Dieses Talent Comittee ist dabei überparteilich besetzt. Wir achten ausserdem darauf, dass die Mitglieder des Talent Comittees einen möglichst diversen Erfahrungsschatz haben. Diese breite Palette an Erfahrung hilft uns dabei, Biases, die unweigerlich entstehen, zu eliminieren. Hierbei werden meist auch sehr harte Debatten darüber geführt, wer es am Ende in die nächste Auswahlrunde schafft und wer nicht. Diese Diskussionen sind aber enorm wichtig. Bei bestimmten Sachthemen, die in ihrer Gänze von Laien nur schwer zu überblicken sind, binden wir auch Fachexperten in den Entscheidungsprozess mit ein.
Sie gelten als Kritikerin der herkömmlichen Parteienstrukturen. Was würden Sie denn gerne konkret am deutschen Parteiensystem verändern?
Zunächst sei vielleicht einmal gesagt, dass es JoinPolitics gar nicht bräuchte, wenn innerhalb der deutschen Parteienlandschaft alles super laufen würde.
Grundsätzlich attestieren sich die meisten Parteien ja selbst eine gewisse Rückständigkeit, die dringend eines Modernisierungs- und Innovationsprozesses bedarf. Dies gilt insbesondere für die Rekrutierung von Parteinachwuchs. Bei den meisten Parteien reicht da ein schneller Blick in die Mitgliederstatistik, um festzustellen, dass sie ein riesiges Problem haben. Insofern sehen uns diese Parteien auch als kritischen Partner, der dabei hilft, die grössten politischen Talente wieder anschlussfähig an die Parteien zu machen oder umgekehrt. Politiker und Parteien müssen wieder cooler werden. Es muss genau so cool sein in eine Partei einzutreten, wie bei einem Start-up im Silicon Valley anzuheuern. Gerade in der jungen Generation steck hierfür so viel Potenzial, da diese den Purpose ihrer Arbeit viel höher gewichtet. Und wo gibt es schon einen höheren Purpose, als in der Politik? Die Strukturen der Parteien schrecken junge Menschen aber nach wie vor zu stark vor einem derartigen Schritt ab.
Es scheint so, als ob junge Politikkarrieren und eine solide akademische Laufbahn sich im Ansatz gegenseitig ausschliessen und ein Quereinstieg in die Politik für Young Professionals zu hohen Risiken birgt. Wie können Young Professionals trotzdem von politischem Engagement überzeugt werden?
Genau dort liegt das Problem. Es ist heute leider noch nicht üblich, dass die Young Professionals in die Politik strömen. Dennoch gibt es erste Beispiele, die zeigen, dass eine Karriere und politisches Engagement sich nicht ausschliessen müssen. Beispielsweise ist Verena Huberts nicht nur erfolgreiche Startup-Gründerin, sondern auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und das im Alter von nur 33 Jahren. Solche Personen spenden Hoffnung und inspirieren wiederum andere Young Professionals ebenfalls eine politische Karriere anzustreben. Ich hoffe, dass viel mehr junge Menschen ihrem Beispiel folgen werden.
Doch auch die Parteien können hierfür einiges leisten und sich offener und attraktiver für Quereinsteigerin gestalten. So sollten bestimmte Strukturen und Veranstaltungen anders organisiert werden, so dass es beispielsweise auch möglich wird digital teilzunehmen. Auch Auswahl- und Nominierungsprozesse sollten insofern modernisiert werden, als dass es nicht unbedingt nötig sein sollte, jedes mögliche Amt innerhalb einer Partei durchlaufen zu müssen und so auch Quereinsteiger mit diversen Hintergründen eine realistische Chance auf politisch relevante Ämter haben. Ich glaube, dass sich die grossen etablierten Parteien einiges von uns bei JoinPolitics abgucken können und es zudem unsere Aufgabe ist, den kommenden Young Professionals zu zeigen, dass die Politik viele der spannendsten Berufe in naher Zukunft bieten wird.
Meiner Meinung nach ist es durchaus möglich, sich auch neben einem erfolgreichen Studium in der Politik zu engagieren. Politisch aktiv zu sein, sollte in unserer Gesellschaft einfach zum guten Ton gehören. Jeder hat die Verantwortung, zu einer funktionierenden Demokratie beizutragen. Insbesondere im Kontext der Young Professionals sollten junge Menschen, die die Chance auf gute Bildung hatten und gewisse persönliche Eigenschaften mitbringen sich ihrer Verantwortung bewusste sein und zu einem gewissen Grad auch die Verpflichtung spüren sich in der Politik zu engagieren, da diese schlussendlich das Leben und den Arbeitsbereich von jedem einzelnen beeinflussen wird. Ich glaube, da kommen wir in der Politik einfach nicht mehr drumherum. Insofern gibt es starke Argumente dafür, dass jeder und jede sich politisch dort einsetzen sollte, wo er oder sie wirklich auch Veränderung erzeugen können.
Junge Menschen insbesondere mit wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund streben, wenn überhaupt, eine politische Beratungstätigkeit im Hintergrund an. Wer hat in ihren Augen schlussendlich mehr Einfluss: Der Politiker in der Öffentlichkeit oder der Berater im Hintergrund?
In der Politik braucht es irgendwo beides. Aber ich würde definitiv sagen, dass der gewählte Politiker letztlich mehr Einfluss hat, weil er die abschliessende Entscheidung trifft. Dennoch sollte er erstklassige Berater haben, denn bei Politikern geht es nicht unbedingt um die fachliche Expertise, sondern allen voran um die Strahlkraft und die Besonderheit der Persönlichkeit. In der Öffentlichkeit macht es einen bedeutenden Unterschied, ob eine Angela Merkel im Rahmen einer Finanzkrise sagt, dass Einlagen sicher wären oder ob das irgendein Berater macht. In der Zukunft wird der Beruf des Beraters wohlmöglich von künstlichen Intelligenz übernommen. Wohingegen der Beruf des Politikers in der Öffentlichkeit nicht verschwinden wird, da dieser innerhalb der Bevölkerung Vertrauen schaffen muss, was herausragende kommunikativen Skills voraussetzt. Bringt man diese Fähigkeiten mit sich, kann ich nur raten, den Schritt in die aktive Politik zu wagen.
Wir hatten es gerade bereits angeschnitten. Aber wovon hängt heutzutage der Erfolg eines aufstrebenden Politikers Ihrer Meinung nach ab?
Das ist eine sehr spannende Frage, da wir bei JoinPolitics natürlich selbst sehr daran interessiert sind, diese Kriterien immer weiter zu verfeinern. Für den Moment haben wir fünf persönliche Kerneigenschaften identifiziert, die ein Kandidat mit sich bringen sollte. Zum einem suchen wir Macher und Visionäre, also Menschen, die Tatendrang mitbringen und den Mut und Kampfgeist besitzen, um Projekte umzusetzen. Zudem sind eine hohe soziale und emotionale Intelligenz und eine gewisse Moderationsfähigkeit besonders wichtig. Drittens müssen unsere Kandidaten Menschen wortwörtlich mitnehmen können. Hierbei legen wir viel Wert auf Begeisterungsfähigkeit und Überzeugungskraft. Eine gesunde Selbstwahrnehmung würde ich als viertes Kriterium beschreiben. Die Kandidaten müssen eine hohe Reflexionsfähigkeit mitbringen. Als letzten Punkt achten wir besonders auf die intrinsische Motivation der Kandidaten. Sie müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, und wie man so schön sagt, purpose driven sein.
Diese Eigenschaften hat es als Politiker natürlich auch schon früher gebraucht, aber durch die sozialen Medien müssen diese deutlich ausgeprägter sein als früher. Durch Twitter und ähnliche Medien kommt es zu einer von Gruppe zu Gruppe und Person zu Person sehr unterschiedlichen Informationslage und damit zu einer schnelleren Polarisierung. Um mit diesem Problem fertig zu werden, benötigt es wie bereits erwähnt vorranging eine starke soziale Intelligenz und sehr gute Kommunikationsfähigkeiten, um die Menschen zu verstehen und in die richtige Richtung zu lenken. Aufgrund von Internetblasen und Wechselwählern hat zudem die Mobilisierung von Menschen über Parteigrenzen hinweg an Bedeutung hinzugewonnen. Frühere Generationen haben eine einzige Partei ihr ganzes Leben lang gewählt, was heutzutage eher eine Seltenheit ist. Entsprechend ist die Visionskraft und Persönlichkeit eines Kandidaten besonders wichtig, um langfristig die potenziellen Wähler mobilisieren zu können. Darüber hinaus stehen wir heute vor bedeutenden Herausforderungen, wie beispielsweise dem Klimawandel. Auch hier müssen Politiker konkrete Visionen formulieren und diese wiederum in verständliche Schritte runterbrechen können, um die Wählerschaft auch wirklich zu erreichen und die Ziele als machbar erscheinen zu lassen. Schafft man es durch diese Eigenschaften Mehrheiten für sich zu gewinnen, muss man sich dennoch nach wie vor gegen den Widerstand der eigenen Partei und den Druck der Medien durchsetzen können.
Längst nicht alle jungen Menschen möchten Politiker werden. Losgelöst vom Themenfeld Politik, was denken Sie ist der Nummer Eins Erfolgsfaktor für junge, aufstiegsbedachte Menschen?
Aus meiner Perspektive ist der Nummer Eins Erfolgsfaktor in der heutigen Zeit Anpassungsfähigkeit. Junge Menschen sollten ihre fachlichen Kompetenzen stets mit der Zeit weiterentwickeln und dabei bedenken, dass dies allein nur schwer möglich sein wird. Es ist wichtig, die richtigen Teammitglieder an Bord zu holen und starke Teams aufzubauen. Egal ob es sich dabei um ein Startup oder die Politik handelt. Zudem erfordert es aufgrund des ständigen Wandels, dem viele Arbeitsbereiche heutzutage ausgesetzt sind, Offenheit und Flexibilität. Man muss seine eigene Rolle, Strategien und Einstellungen immer überdenken und weiterentwickeln.
Sie finanzieren sich ausschliesslich über Spendengelder. Zum Schluss würde uns noch interessieren, ob zukünftig auch ein anderes Finanzierungsmodell angestrebt wird, dass die Finanzierung für ein breites Publikum eröffnet und JoinPolitics zu einem non-profit Inkubator macht?
Das ist eine spannende Frage. Aktuell basiert unsere Finanzierung ausschliesslich auf Spenden. Aber auch wir bei JoinPolitics sind der Meinung, dass es für die Nachhaltigkeit des Projektes wichtig ist, dass ein breites Publikum unsere Mission unterstützt und wir uns diversifizieren, um nicht von einzelnen Spendern abhängig zu sein. Aktuell haben wir rund 100 Einzelspender, von denen rund 15 sogenannte Angel-Supporter sind, die sich über vier bis fünf Jahre verpflichtet haben, unser Projekt langfristig zu unterstützen, um uns dadurch eine gewisse Planungssicherheit zu gewährleisten.
Darüber hinaus gibt es einige Stiftungen, die uns finanziell unterstützen. Für diese Gelder ist es wichtig, dass wir ein non-profit Modell verfolgen. Generell würde ich das Erzielen von Renditen in einem politischen Kontext als schwierig erachten. Ich habe zwar schon häufiger andere Finanzierungsmodelle nachgedacht, aber bisher noch keine valide Lösung finden können, die mit unserem Wert der politischen Neutralität vereinbar wäre. Vielmehr konzentrieren wir uns darauf, mehr Stiftungsgelder zu erhalten und damit langfristig zu wachsen. Dennoch werden wir auch in Zukunft von Einzelspenden abhängig bleiben. Auch der Staat sollte Projekte wie uns stärker fördern. Die parteinahen Stiftungen haben im Jahr 2021 knapp 600 Millionen Euro an Steuergeldern für ihre Demokratiearbeit bekommen. Da stelle ich mir persönlich die Frage, warum es nicht auch eine staatliche Förderung für überparteiliche Organisationen gibt, die ebenfalls Demokratieförderarbeit betreiben.
Liebe Frau Weimann, vielen Dank für das Gespräch!