Sie sind passionierter Läufer und haben die Marathonstrecke schon einige Male zurückgelegt. Wie kommen sie aktuell noch dazu, diesem Hobby nachzugehen?
Erstens mal gut recherchiert; Glückwunsch! Heute Morgen zum Beispiel nahm ich mir um 5 Uhr 30 im Tiergarten eine halbe Stunde dafür Zeit. Für die Marathondistanzen reicht die Zeit nicht mehr, aber mal fünf bis zehn Kilometer, das bekomme ich schon noch hin. Generell würde ich aber sagen, dass die Intensität des Arbeitens im Privatsektor und meiner jetzigen Stelle in der Politik ziemlich vergleichbar sind.
Ihr langjähriger Hintergrund in der Finanzbranche hat Sie prädestiniert für die Aufgabenbereiche Finanzmarkt und Europa als Staatssekretär. Was war Ihre Motivation für den neuen Job im Bundeskanzleramt, welchen Sie vergangenes Jahr angetreten haben.
Erstens ist es ziemlich nah an meiner alten Tätigkeit, weil natürlich Finanz- und Wirtschaftspolitik auch in den G7-Staaten und in dem, was ich jetzt mache, als Wirtschaftsberater des Kanzlers, sehr nah an allen Finanz- und Wirtschaftsthemen dran ist. Und natürlich ist es eine extrem spannende Rolle, die für mich bereitstand, weshalb das eigentlich keine schwierige Entscheidung war.
Wo würden Sie dann sagen, dass die Hauptunterschiede liegen? Vielleicht Themen, in die Sie sich einarbeiten mussten, weil Sie davor nicht viel Kontakt damit hatten.
Im Moment sind aufgrund des Krieges in der Ukraine natürlich alle Fragen rund um die Energiepolitik hochgradig relevant. Die schlimmsten Konsequenzen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind selbstverständlich die katastrophalen menschlichen Auswirkungen. Es ist jedoch auch klar, dass wir uns die Frage stellen müssen, welche Auswirkungen dieser Krieg auf die Energiemärkte, die Nahrungsmittelmärkte und somit generell auf die Versorgungssicherheit hat. Diese Frage ist ebenso von höchster Relevanz, da dadurch das tägliche Leben von Millionen Menschen negativ beeinflusst werden könnte.
Zurück zu Ihrer Vergangenheit in der Finanzbranche: In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, ist es häufiger zu beobachten, dass jemand direkt aus der Privatwirtschaft in die Politik wechselt als in Deutschland. Wie sehen Sie das; überwiegt der Vorteil, dass die Nähe zur Wirtschaft neue Sichtweisen in die Politik einbringt, oder sollte Privatwirtschaft und Politik aufgrund von potenziellen Interessenskonflikten getrennt bleiben?
Erstmal möchte ich sagen, dass dieser Wechsel auch in Deutschland im häufiger stattfindet. So ist Stefan Wintels, der früher bei Citi war, jetzt Vorstandsvorsitzender der KfW zur Förderung öffentlicher Einrichtungen; Corinna Huberts, ehemalige Unternehmerin, ist jetzt im Deutschen Bundestag; Thomas Sattelberger, der vorher im Vorstand der Telekom war, ist jetzt parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium. Es gibt ganz viele Beispiele, die belegen, dass dieser Wechsel tatsächlich auch in Deutschland gelebt wird. Wenn man sich die Vitae von Personen im Deutschen Bundestag anschaut, sieht man recht viele Seitenwechsel von der Privatwirtschaft in die Politik.
Trotz Ihrer Bänker-Vergangenheit setzen Sie sich für einen höheren Sicherheitspuffer bei Banken ein. Wo stehen wir Ihrer Meinung nach aktuell bezüglich der Sicherheit des Finanzsystems vor diesem Hintergrund?
Gerade in Europa kann man das an den vorgelegten Entwürfen, die die EU-Kommission zu Basel 3 im Bankensektor und Solvency 2 im Versicherungssektor gemacht hat, konkret anschauen. Zu den beiden Gesetzespaketen hat die deutsche Bundesregierung gesagt, dass sie generell den Gesetzgebungsprozess positiv und konstruktiv begleitet, weil aus unserer Sicht in beiden Fällen die Kommission, nachdem wir und auch andere Mitgliedstaaten, viel Input geliefert haben, einen sehr ausgewogenen Vorschlag sowohl bei Banken als auch Versicherungen vorgelegt hat. Auf der einen Seite werden nämlich die Notwendigkeiten der Finanzierung der Realwirtschaft berücksichtigt. So kann durch Ausnahme- und Sonderregelungen auf die Besonderheiten des europäischen Finanzierungsmarkts eingegangen werden. Auf der anderen Seite wird darauf geachtet, dass ausreichend Kapital in den Finanzsystemen ist, um die Finanzstabilität zu gewährleisten.
Zu ein aktuelles Thema: Der G7-Gipfel in Deutschland steht bevor. Neben der aktuellen Energiekrise ist natürlich immer noch der Klimawandel ein grosses Thema, worüber ebenfalls viel und intensiv diskutiert wird, insbesondere über einen Klima-Club. Diese Idee wurde insbesondere von Olaf Scholz initiiert. Wie will die deutsche Regierung sicherstellen, dass bei einem solchen Club auch grosse CO2-Emittenten wie beispielsweise Indien oder China mitziehen werden?
Die Idee ist, dass ein solcher Klima-Club offen und inklusiv sein soll. Wir wollen keinen elitären G7-Club gründen, in dem wir dann die Dekarbonisierung der Welt alleine vorantreiben. Das ist zum Scheitern prädestiniert und würde wahrscheinlich sogar Gegenreaktionen im Rest der Welt auslösen. Von daher sagen wir immer, dass wir offen und inklusiv sein wollen und nicht abgeschottet und exklusiv. Wir haben bereits im Rahmen der Diskussion um den Klima-Club gesagt, dass wir die Joint Energy Transition Partnerships, die beispielsweise nach der Konferenz in Glasgow mit Südafrika beschlossen wurden, nun ausbauen müssen. Im Falle von Südafrika wurden mehrere Milliarden Euro investieren, um den Pfad zu begleiten, klimaneutraler zu werden. All diese Investitionen dienen schlussendlich dem Zweck, carbon neutral zu werden. Dabei helfen beispielsweise Prozesse wie in Grossbritannien und jetzt auch in Deutschland aus der Kohle mittel- bis langfristig auszusteigen und dafür die Arbeitsplätze, die dadurch wegfallen, in anderen Bereichen zu ersetzen. Das sind natürlich Themen und Prozesse, bei denen die Länder des globalen Südens Unterstützung benötigen, die wir geben wollen.
Unterstützung bei diesem Dekarbonisierungsprozess, zum Beispiel in Form von Investitionen, soll also einen Anreiz darstellen, um Länder zu überzeugen, Mitglied im Klima-Club zu werden.
Ganz grundsätzlich haben wir uns diesbezüglich drei Pfeiler überlegt: Der erste Pfeiler dreht sich um die ganzen Fragen, wie man mit der Emittierung von CO2 umgehen soll. Manche Länder machen das durch explizites sogenanntes Carbon Pricing, andere machen es mit indirekten Mitteln, was Anreize und Ordnungspolitik angeht. Wir sagen, wir wollen keinen Befehl geben, dass beispielsweise die Methode, die wir nutzen, nämlich eine Mischung aus CO2-Bepreisung und Ordnungsrecht, die einzige Möglichkeit darstellt. Andere Länder haben nun mal andere Prioritäten und manche Länder wollen gar keine CO2-Bepreisung machen; das ist völlig okay. Wir versuchen gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der OECD ein System zu finden, bei dem man direkte und indirekte Möglichkeiten der CO2-Bepreisung vergleichbar macht. Dieses Projekt ist also Pfeiler Nummer eins. Pfeiler Nummer zwei nennen wir industrial decarbonisation: Das ist ein gemeinsames Projekt aller Staaten, die im Klima-Club sind, um Systeme zu entwickeln, die die gross-industriellen Emittenten von CO2, die im Norden und im Süden die Stahl-, Zement-, Flug- und Automobilindustrie, aber auch den Gebäudesektor umfassen, auf dem Weg zur CO2-Neutralität begleiten. Der dritte Pfeiler sind die Joint Energy Transition Partnerships, mit denen wir explizit sagen, dass der Norden einen wesentlichen höheren Beitrag zum CO2-Fußabdruck beigetragen hat in den letzten Jahrzehnten als der Süden. Der Ausgleich ist, dass wir jetzt den globalen Süden darin unterstützen, auf den Weg der CO2-Neutralität zu kommen. Unser Ziel ist es, in einer ersten Runde mit Senegal, Südafrika, Indonesien, Indien und Vietnam solche Partnerschaften aufzubauen und dann weiter zu expandieren.
Wir haben im Rahmen dieser Interviewserie auch mit Lars Feld über den Klima-Club gesprochen und da ging es um die Vorstellung, dass – je grösser die Bewegung wird – es ökonomische Nachteile mit sich bringt, nicht dem Klima-Club beizutreten. Das könnte somit zu einem geopolitischen Druckmittel werden. Ihre Beschreibung der drei Säulen wirkt jedoch nicht so, als würde der Klima-Club auf Druck aufbauen.
Genau, das ist eindeutig nicht der Fall. Wir wollen positive Anreize setzen und keinen negativen Druck ausüben. Ich glaube, dass alles andere Rezept wäre, das außerhalb der G7-Staaten nicht gut ankäme. Meine persönliche Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Regierungen von verschiedensten Staaten, die nicht Teil der G7 sind, ist, dass häufig der Vorwurf kommt, dass man zu sehr mit direktem oder indirektem Druck auftritt, obwohl in der Vergangenheit der grösste Teil des CO2-Fussabdrucks aus den Industrialisierungsprozessen kommt, die überwiegend im Norden stattgefunden haben. Wenn man mit Druck und nicht mit positiven Anreizen arbeitet, missachtet man diesen Umstand.
Zum Zeitpunkt des Interviews steht die G7-Gipfel in Elmau bevor. Was müsste in der Abschlusserklärung des Gipfels stehen, damit Sie sagen würden, dass es ein erfolgreiches Gipfeltreffen war?
Der erste Punkt wird natürlich das Thema der russischen Invasion in die Ukraine sein. Das ist und wird auch sicherlich in Elmau das Thema Nummer eins sein, weil es jetzt nicht nur um die Frage geht, wie wir die Ukraine militärisch unterstützen können, sondern auch um die Frage, wie wir es der Ukraine ermöglichen, auch wirtschaftlich diesen Krieg durchzustehen. Es ist völlig klar: In jeder Kriegswirtschaft explodieren die Ausgaben und schrumpfen die Einnahmen durch die Kontraktion des wirtschaftlichen Handelns. Wenn die Ukraine im Krieg weiter bestehen will, müssen wir natürlich auch dafür sorgen, dass die sozialen Infrastrukturen bestehen bleiben im Land, dass wir die Ukraine unterstützen, die Energie- und die Elektrizitätsversorgung, die Straßen und Schienen aufrechtzuerhalten. Das muss alles weiter funktionieren und dafür braucht die Ukraine unsere Unterstützung. Zumindest wenn wir sie nicht dazu zwingen wollen, den Pfad der Monetarisierung von Staatsdefiziten zu gehen, was dann zu Zweitrundeneffekten wie Inflation führen würde, die den Konsens in der eigenen Gesellschaft erschweren würden. Von daher wollen wir nicht nur militärische Unterstützung leisten, sondern auch die bestehende ökonomische und fiskalische Zusammenarbeit mit der Ukraine weiter ausbauen. Dies ist unserer Meinung nach von höchster Priorität. Der Klima Club ist dann eine weitere sehr wichtige Fragestellung. Wir realisieren natürlich, dass Russland durch den Export von fossilen und massiv klimaschädlichen Energiesorten überwiegend an uns, die Europäische Union und den Rest der Welt, Abhängigkeiten schaffen konnte und damit einen solchen Krieg führen kann. Das muss schnellstmöglich beendet werden. Wir wollen klimaneutral werden und der Ausbau der erneuerbaren Energien, den wir vorhaben, ist die beste Möglichkeit, unabhängig von russischen Öl-, Gas- und Kohlelieferungen zu werden. Zusätzlich werden wir innerhalb der G7-Staaten diskutieren, wie wir kooperieren können, um den Zwischenschritt, bis wir erneuerbar sind, gemeinsam besser durchstehen, als in dieser Abhängigkeit von Russland.
Als möglichen Zwischenschritt ist aktuell häufig Gas aus den USA eine Option. Jedoch wird dies häufig durch Fracking gewonnen, was mindestens sehr umstritten und ebenfalls nicht nachhaltig ist. Wie sehen Sie diesen Zwischenschritt zur Klimaneutralität?
Es gibt auf der ganzen Welt keine Quelle von Gas, die umweltverschmutzender und umweltschädlicher ist als die aus Russland. Das muss man den ersten Punkt machen. Die Russische Föderation erlegt Gazprom so gut wie keine Umweltauflagen auf, von daher ist der Vergleich immer auf einer relativen Basis; selbst mit den amerikanischen Methoden zur Extraktion von Gas. Wenn man diese Substitution vollständig vollziehen würde, wäre die Klimabilanz somit dennoch positiv. Aber wir wollen das ja gar nicht. Von den 158 Milliarden Kubikmeter Gas, die die Europäische Union derzeit aus Russland importiert, können die USA im nächsten Jahr ungefähr 15 Milliarden Kubikmeter als Substitute zur Verfügung stellen, weil deren Exportkapazitäten begrenzt sind, weil die USA auf diese Situation gar nicht vorbereitet sein konnte. Keiner hat damit geahnt und der Bau neuer Exportterminals dauert nun mal einige Jahre. Von daher wird der Substitutionseffekte auf der ganzen Welt passieren müssen und er wird nur allmählich passieren können. Und das ist die feste Überzeugung der deutschen Bundesregierung; wenn ich so die Diskussion um Ölsanktionen sehe, sind andere Regierungen Europas, um es mal so auszudrücken, auch zu der Erkenntnis gekommen, dass ein abrupter Lieferstopp von russischem Öl und Gas schlichtweg nicht machbar ist in der kurzen Frist. Aber wir arbeiten mit dem Bau von neuen LNG-Terminals daran. So hatten wir auch den Emir von Katar zu Besuch, haben intensive Diskussionen mit dem kanadischen Premierminister geführt oder waren in Senegal, um mit dem senegalesischen Präsidenten darüber zu sprechen, welche Möglichkeiten wir haben, in diesem Bereich zusammenzuarbeiten. Es wird daher nicht nur auf das Fracking-Gas aus USA ankommen, sondern es wird ein weltweites Thema sein.
Wo sie gerade den Besuch im Senegal angesprochen haben: Die Folgen des Krieges sind nicht nur im Energiesektor, sondern auch im Bereich der Commodities spürbar, insbesondere bei Getreide. Viele Getreideimporte aus der Ukraine sind nicht mehr lieferbar. Die Dürre am Horn von Afrika verschärft dabei dieses Problem noch weiter. Inwiefern kann und soll die internationale Gemeinschaft die betroffenen Länder stärker unterstützen? Denn historisch betrachtet und zurück auf den arabischen Frühling blickend, handelt es sich um ein ausserordentlich wichtiges Thema.
Wir haben gerade in den G7 eine globale Allianz für Ernährungssicherheit ausgerufen und das wird eine der ganz entscheidenden Fragen für die G7-Staaten sein. Die Entwicklungs- und Aussenminister diskutieren intensiv, wie wir helfen können. Als Bundesrepublik Deutschland haben wir circa eine halbe Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt für diesen Prozess. Es ist nicht so, dass nicht genug Nahrungsmittel auf der Welt hergestellt werden; das ist eine entscheidende Erkenntnis. Natürlich sind im Moment die Lieferwege gestört, weil Russland durch die brutale Invasion und damit verbundene Seeblockaden, die Häfen der Ukraine beeinträchtigt und massiv bedroht. Insbesondere der Hafen von Odessa, der ja ein grosser Umschlags- und Exportplatz für zigtausend von Tonnen von Weizen und Getreide war. Dieser Hafen fällt leider durch die Handlungen der Russischen Föderation aus und dafür muss die Russische Föderation vor der Welt geradestehen. Es hilft uns und insbesondere den Menschen in Afrika im Moment aber nichts, die Russische Föderation zu verdammen. Wir müssen nach Alternativen suchen. Wir versuchen die Ukraine über den Landweg zu unterstützen, aber logistisch funktioniert das nur sehr, sehr mühsam. Von daher müssen wir Lieferketten aus der ganzen Welt zusammensuchen. Dieser Prozess er läuft gerade und funktioniert teilweise schon. Wir müssen einfach die Märkte offen halten im Rest der Welt.
Abschliessend eine Frage, die ein bisschen in Richtung Zukunft gerichtet ist: Wir haben vorhin schon ein bisschen über die politischen Mandate von Ex-Managern in den USA geredet. Können Sie sich zukünftig vorstellen, auch einen Ministerposten zu übernehmen oder sind Sie momentan in Ihrer aktuellen Rolle zufrieden?
Ich bin momentan völlig glücklich und voll ausgelastet.