Bernhard Kowatsch ist der Head des Innovation Accelerators des Welternährungsprogrammes.
Was ist das Ziel des Innovation Accelerators des Welternährungsprogrammes und warum ist es gerade die Hungerkrise, die ihr bekämpfen wollt?
Das Welternährungsprogramm ist global aktiv. Besonders bekannt sind dabei Nahrungsmittellieferungen bei Dürrekatastrophen, in Kriegsgebieten und unsere Unterstützung für Kleinbauern. Die Mission des Welternährungsprogrammes seit seiner Gründung vor über 50 Jahren ist es dabei stets Leben zu retten (saving lives) und die Leben der Menschen, die wir unterstützen, zum Positiven zu verändern (changing lives). Saving Lives betrifft die Nothilfe und bei Changing Lives geht es gleichzeitig darum, den Menschen nachhaltige Hilfe bereitzustellen, damit sie sich selbst helfen können. Zu Letzterem zählen wir beispielsweise die Vergrösserung von Absatzmärkten von Kleinbauern. Mit unserer Arbeit tragen wir zu den Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen bei, um bis 2030 den Welthunger zu beenden und das Ziel Zero Hunger zu erreicht.
Mit seiner Mission erreicht das Welternährungsprogramm ungefähr 128 Millionen Menschen, die sich in rund 120 Ländern der Welt befinden. Nur dadurch sieht man schon den grossen Bedarf einer solchen Mission. Was man auch sagen muss, ist, dass das Problem des Hungers in den letzten Jahren eben auch wieder schlimmer geworden ist. Einerseits hat sich der Hunger historisch über die letzten 30 Jahren stark verringert – bis zu 400 Millionen Menschen weniger leiden Hunger. Jedoch beobachten wir in den letzten sechs Jahren wieder einen Zuwachs von hungernden Menschen auf bis zu 828 Millionen. Viel grösser wurde dabei die Anzahl derer, die an akutem Hunger leiden und sich damit de facto in Richtung Hungertod bewegen. Diese Zahl hat sich mehr als verdoppelt, von 135 Millionen Menschen auf 345 Millionen Menschen. Wir sprechen dabei von einer der grössten humanitären Katastrophen.
Die Gründe dafür, wie sich eine solche Katastrophe entwickeln kann, sind natürlich vielfältig. Auf der einen Seite sind es Konflikte, wie beispielsweise der Krieg in der Ukraine, aber auch die Klimakrise und die Coronapandemie, die eine solche Hungersnot auslösen und sie auf jeden Fall weiter verschlimmern können. Dazu kommen die immer höher werdenden Erdöl- und Nahrungsmittelpreise, die diese Hungerzustände auch weiter verschärfen.
Bevor Sie sich dem Problem des globalen Hungers widmeten, starteten Sie Ihre Kariere bei BCG als Unternehmensberater. Wie konnten sie dabei wichtige Erkenntnisse für ihr jetziges Wirken gewinnen?
Wichtig ist dabei das Mindset, das man bekommt. Damit meine ich, dass man auch die schwierigsten Probleme lösen kann, auch wenn diese zu Beginn unlösbar erscheinen. Dazu gehört auch eine gewisse intellektuelle Neugierde, analytisches und konzeptionelles Denken, Präsentationen aber auch der Austausch mit dem Top Management und Führungskräften von Grossunternehmen, die man oftmals von den eigenen Ideen überzeugen muss – all das waren wichtige Werkzeuge, die ich aus dieser Zeit mitnehmen konnte. Dazu kommen auch verschiedenste Fähigkeiten, wie man ein Team führt und die verschiedenen Führungskompetenzen. Für meine jetzige Tätigkeit ist dabei in erster Linie das Führen von Mitarbeiten in schnelllebigen Wachstumsmärkten wichtig. So konnte ich schon in dieser Zeit lernen, wie man Mitarbeiter motiviert und positiv in die notwendige Richtung führt, um Resultate effizient und effektiv zu erreichen.
Das Lösen von unlösbaren Problemen – eines dieser ersten Versuche war dabei ShareTheMeal. Wie genau hat denn dieses Projekt beinahe unlösbare Probleme im Bereich der Hungerbekämpfung gelöst?
Mit meinem Freund Sebastian Stricker kam uns diese Idee bei einem Event beim Welternährungsprogramm. Dabei ist uns aufgefallen, dass man für nur € 0,80 ein Kind einen Tag lang ernähren kann. Damals waren wir wirklich schockiert, dass es so wenig ist, um ein Kind einen Tag lang zu ernähren. Unsere Überlegung war dabei, wie wir die Menschen darauf hinweisen könnten, dass es nur so wenig braucht. So kam dann die gesamte Idee von Share the Meal auf und die damit verbundene Spendenfunktion. Ziel war es, dass eben auch junge Leute unkompliziert spenden können. Wir dachten uns dabei, dass der Grundsatz «wenn es mir gut geht, dann geht es mir auch gut» , diese Leute überzeugen kann. Mit einem Knopfdruck auf dem Smartphone konnte ein Kind ernährt werden.
Wie erfolgreich war denn diese ganze Idee. Konnte mit einem Knopfdruck auf dem Smartphone der Hunger auf der Welt reduziert werden?
Share the Meal ist immer noch eine der beliebtesten Apps im AppStore und im Jahr 2020 wurde sie sogar zur App des Jahres gekrönt. Diese Beliebtheit führte dann schlussendlich dazu, dass bis heute über 170 Millionen Mahlzeiten geteilt wurden. Dabei sprechen wir von bis zu einer Millionen Spendern:innen, die immer noch aktiv spenden.
Die ganze Idee hat sich auch weiterentwickelt und so kann mittlerweile auch ein monatliches Abo abgeschlossen werden, bei dem jeden Monat ein gewisser Betrag gespendet wird. Es sind auch spezifische Orte, die man neu auswählen kann, wo das Geld dann gespendet wird. Spende ich jetzt für zum Beispiel Nothilfe im Jemen oder in Kolumbien, in Syrien oder auch in der Ukraine?
Die ersten Erfolge wurden dadurch schon verzeichnet. Wie hat Sie dieses Projekt dann zum Welternährungsprogramm gebracht und wie sind Sie zu ihrer jetzigen Stelle beim WFP Innovation Accelerator gekommen?
Es gab damals kaum Unterstützungsmöglichkeiten für Social Entrepreneurs. Die Projekte, die wir damals unterstützen wollten, wurden zum Teil auch mit eigenem Geld finanziert und es musste mühsam Unterstützung gefunden werden. Schliesslich ergab sich die Möglichkeit, den Innovation Accelerator des Welternährungsprogrammes aufzubauen.
Die Idee war genau gleich, wie die in einem Start-up Accelerator. Die Frage war dabei, wie man Start-ups, wie beispielsweise Share the Meal, aber auch andere Start-ups unterstützen kann, die gegen den globalen Hunger ankämpfen.
Diese Start-ups sind die Grundlage des Innovation Accelerators. Welche Unternehmen sind es denn, die euer Zero Hunger Ziel erreichen sollen?
Wir suchen immer global nach den besten Start-ups und Innovationen. Das heisst, die Teams können von überall auf der Welt kommen, aber sie müssen ein Problem lösen, das zu Zero Hunger beiträgt und in einem der Länder, in dem das Welternährungsprogrammes aktiv ist, tätig sein. Dabei kann es eine non-profit Lösung sein, aber auch ein for-profit Start-up.
Bewerbungen um in unseren Innovation Accelerator aufgenommen zu werden, bekommen wir über unsere Webseite. Wenn die Idee passt und wir das Unternehmen unterstützen können, dann beginnen wir mit einem Innovation Bootcamp. Das ist ein Trainingsprogramm, in dem wir die Start-ups und Teams unterstützen. Dort klären wir Fragen bezüglich Lösungsentwicklung, Marketing und Technologie. Dabei coachen wir die Start-ups und helfen ihnen bei den ersten Pitches. In den nächsten Phasen helfen wir den Unternehmen ihre Wirkung zu Vergrössern und in den einzelnen Ländern Fuss zu fassen.
Es ist auch viel zu lesen, dass der Innovation Accelerator eines der innovativsten Unternehmen ist. Wie setzt ihr diesen Innovationsgeist in euren Social Impact um?
Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Start-up Accelerator ist es für uns das wichtigste Ziel möglichst vielen Menschen zu helfen. Durch die Skalierung dieser Ideen können wir dabei eben diese Wirkung um ein Vielfaches vergrössern. Dabei konnten wir bis zu 9 Millionen Menschen allein im Jahr 2021 erreichen.
Ein Beispiel ist dabei Sanku, das Maismehl mit Vitaminen und Mineralstoffen anreichert. Dadurch können Nahrungsmittel, die täglich konsumiert werden um ein Vielfaches nahrhafter werden. Somit bekämpft dieses Start-up eine andauernde Mangelernährung.
Es ist in erster Linie Technologie, die von euch als ein Teil der Lösung eingesetzt wird. Wie sieht denn das Potenzial von Technologie genau aus?
Das Thema hat zwei Aspekte. Auf der einen Seite sind es die neuen Technologien, auf der anderen Seite aber auch neue Geschäftskonzepte. Die Innovationen, die wir unterstützen sind dabei eine Kombination aus beidem. Dabei stellt sich die Frage, ob die Technologie der Treiber oder der «Enabler» der Lösung ist. Neue Technologien bieten dabei meist neue Möglichkeiten, um unsere Ziele zu erreichen.
Dabei werden mit neuen Technologien, wie Blockchain und künstlicher Intelligenz Entwicklungsschritte übersprungen und es können direkt innovative neue Lösungen für die jeweiligen Probleme gestaltet werden.
Meist ist es eine Kombination von Leidenschaft von den Gründern:innen, in Kombination mit Technologie, die diese neuen Lösungsansätze hervorbringen. Wir brauchen dabei aber immer neue und immer weiter gedachte Lösungen. Um die grossen Probleme, wie die Klimakrise und Hungerkrisen zu bezwingen brauchen wird Start-ups und Innovationen, da sie mit verhältnismässig kleinen Geldbeträgen eine grosse Wirkung erreichen können. Es gibt noch viele neue Lösungen, die gedacht werden müssen. Dabei sind diese Probleme auch Potentiale, um neue nachhaltige Geschäftskonzepte aufzubauen und gleichzeitig Menschen zu helfen.
Meist gibt es bereits sehr vielversprechende und gute Technologien und Ideen, aber mit zu wenig Verständnis vom Globalen Süden. Da schauen wir, dass sich die verschiedenen Knowhows gut kombinieren lassen.
Wo sind denn die neuen Krisenherde, in denen Start-ups und Technologien weiterhin tätig sein werden?
Konflikte sind definitiv eines der grossen Probleme, wo wir natürlich die Unterstützung von allen weltweit brauchen, um diese zu beenden. Ein weiteres Problem ist die Klimakrise. Vor allem in diesem Gebiet braucht es grössere Bemühungen, da es diejenigen in bereits hungernden und ärmeren Gebieten stärker trifft. Es ist ein Thema, das global in Angriff genommen werden muss. Dabei braucht es viele kluge Köpfe, aber auch viele Investitionen in Start-ups, die Lösungsvorschläge für diese Probleme bieten können.
Konfrontiert mit all diesen Themen, wo sehen sie noch Hoffnung?
Meine persönliche Hoffnung sehe ich vor allem dort, wo ich sehe, dass es Start-ups und Innovationen gibt, die das Leben von Menschen tatsächlich verbessern können. Und es gibt mir Hoffnung zu sehen, dass es wirklich funktioniert, dass wir einen Unterschied in der Welt machen können.