Klaus Meine hat als Frontmann der Scorpions den Kalten Krieg hautnah miterlebt. Mit dem Song „Wind of Change“ trugen sie ein Stück zur Geschichte des Mauerfalls bei. Im Interview spricht er über Hoffnungen und Ängste der damaligen Zeit und worüber wir uns heute Gedanken machen sollten.
In „Wind of Change“ fangen Sie den Zeitgeist der späten 80iger Jahre ein. Wie würden Sie heute im Rückblick die damalige Stimmung in Ihrer Generation beschreiben? Welche Hoffnungen und Ängste gab es?
Als Nachkriegsgeneration sind wir im Schatten der Berliner Mauer mit der ständigen Angst vor einem neuen Krieg aufgewachsen. Ich erinnere mich an Nikita Chruschtschow, der mit seinem Schuh bei den Vereinten Nationen auf den Tisch getrommelt hat und die Welt sah sich am Rande des Abgrunds. Mit Gorbatschow entwickelte sich dann langsam etwas Entspannung und plötzlich war eine junge Generation da, die es möglich machte, auch Konzerte in der Sowjetunion zu spielen. Wir als junge deutsche Band empfanden es als eine sehr emotionale Geschichte, 1988 Konzerte in Leningrad zu spielen. In der ersten Pressekonferenz haben wir gesagt: „Unsere Eltern sind mit Panzern gekommen, wir kommen mit Gitarren“.
Glasnost und die Perestroika machten es möglich, dass Sie im August 1989 an dem Peace Rock Festival in Moskau teilnehmen konnten – damals noch ohne „Wind of Change“.
Welche Bedeutung hatte dieses Konzert für Sie persönlich?
Im Vergleich zu unseren Rockkollegen wie Bon Jovi, die ebenfalls am Moscow Music Peace Festival teilnahmen, empfanden wir als Deutsche – insbesondere mit unserer Vergangenheit – diese Zeit deutlich emotionaler. Genau daraus entstand dann auch „Wind of Change“. Der Song hat für uns einfach diesen Moment, das Gefühl des Aufbruchs widergespiegelt, ohne dass wir das Ende der DDR bereits ahnen konnten.
Im darauffolgenden September haben Sie dann diese Rockbalade getextet und komponiert: Sie singen von einem Spaziergang entlang der Moskva zum Gorky Park an einem Sommertag im August, an dem Sie überall den „Wind of Change“ gespürt haben. Das war vor der Wende.
Können Sie das konkretisieren? Wie kam es zu dieser Ballade und was beschreibt sie?
Es ging darum, die alten Gefühle und Feindbilder zu begraben und aufeinander zuzugehen. Dieser „Change“ von dem wir singen, der lag in der Luft. In der Sowjetunion gab es ein Gefühl des Aufbruchs und das haben wir verinnerlicht und in dem Song niedergeschrieben. 1988 haben wir nach den 10 Konzerten in der Sowjetunion gesehen, wie die Situation vor Ort ist. Wir wurden ständig vom KGB beschattet, westliche Rockmusik hatte eigentlich gar keine Möglichkeit, sich dort zu präsentieren. Auf der anderen Seite standen aber diese Tausende von Fans, die nach Leningrad reisten um unsere Konzerte zu sehen; da hat man gespürt, dass sich im Untergrund etwas verändert. Ein Jahr später erinnere ich mich, wie wir auf einem Boot gemeinsam mit den amerikanischen und russischen Rockbands auf der Moskwa Richtung Gorky Park gefahren sind. Drei Nationen in einem Boot und alle sprachen die gleiche Sprache: Musik. Kurze Zeit später dann bei einem unserer Auftritte im Leninstadion, als die Soldaten ihre Jacken auszogen, die Hüte in die Luft warfen und mit den Fans verschmolzen. Mit „take me to the magic of the moment“ waren genau solche Momente gemeint.
Haben Sie selbst an den Fall der Mauer Anfang November ‘89 und an die Wiedervereinigung Deutschlands geglaubt, als Sie im September ‘89 nach Ihrem großen Konzert in Moskau den Song kreiert haben?
Natürlich hat unsere Generation immer auf ein Deutschland ohne Mauer gehofft. Der Song kam ja erst 1991 raus, also nach dem Fall der Mauer, aufgenommen hatten wir ihn aber davor. In dieser kurzen Zeit vor dem Mauerfall war die Stimmung so einzigartig, dass die Hoffnung immer konkreter wurde. Genau das ist, glaube ich, auch der Grund weshalb auch heute noch so viele Menschen unseren Song mit dem Mauerfall verbinden – er spiegelt das Gefühl dieser riesigen Hoffnung wider.
„Wind of Change“ wurde von der Generation unserer Eltern als Hymne der Ost-West-Verständigung gefeiert, aber der Song fasziniert auch uns 20-Jährige heute nach fast 30 Jahren noch genauso stark, weil er an Aktualität nichts verloren hat.
Wo sehen Sie heute konkrete oder ideelle Mauern, die einen „Wind of Change“ vertragen könnten?
Die Welt hat sich sehr verändert. Unsere Hoffnung, in eine gemeinsame friedliche Zukunft zu gehen, hat sich nicht erfüllt. Es gab viele Momente wie den 11. September, in denen Gewalt die Oberhand hatte. An anderen Orten, beispielsweise in Mexiko, sollen neue Mauern errichtet werden, was für mich ein schwer erträglicher Gedanke ist, wenn man erlebt hat, wie Menschen unter den Mauern dieser Welt gelitten haben.
Auf der anderen Seite erleben wir auch Momente, in denen Blockaden abgeschafft werden. Ich denke an die letzten 24h, in denen Nord- und Südkorea nach jahrelangem Konflikt Hand in Hand die Grenzen überwunden haben*. Solche Bilder machen Hoffnung, dass der „wind of change“ wieder in der Luft liegt.
*Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde am 27.04.2018 geführt. Kurz zuvor hatten sich die Staatsoberhäupter von Nord- und Südkorea getroffen und einen Neuanfang gelobt.
Welche von Ihren Hoffnungen aus „Wind of Change“ haben sich nicht verwirklicht?
Zuerst einmal ist es großartig, dass kein Mensch mehr dafür sterben muss, wenn er von Ost- nach Westdeutschland reist. Nach wie vor gibt es aber Probleme: Die hohe Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern, das Gefühl der Benachteiligung gegenüber dem Westen, verlassene Orte, weil sich Bürger im Westen bessere Chancen erhoffen. Wir hatten gedacht, dass sich das Zusammenwachsen einfacher gestalten würde. Darüber hinaus gab es positive Entwicklungen, die dabei sind, wieder zu verfallen, beispielsweise der Brexit, der die Idee der EU untergräbt. Manchmal habe ich das Gefühl, die Uhr würde rückwärtslaufen, weil es oft genau in die falsche Richtung geht. Wenn bei der Echo-Preisverleihung Rappern, die antisemitische Texte verbreiten, eine Bühne geboten wird und deren Musik einen Weg zur jungen Generation findet, dann ist das schrecklich.
Künstler haben oft eine sehr bewusste Wahrnehmung und drücken in ihrer Kunst den Zeitgeist aus, bevor sich dieser dinglich, gesellschaftlich oder politisch manifestiert. Wohin, glauben Sie, steuern in Zukunft Deutschland und Europa? Wird es weiterhin einen befreienden und toleranten „Wind of Change“ geben, der aus der richtigen Richtung weht?
Ich glaube an die junge Generation. Durch Social Media ist die Welt noch stärker zu einem Dorf zusammengeschrumpft. Ihr werdet (oder wir werden) den Weg in eine offene und gemeinsame Zukunft suchen. Trotz der Ereignisse wie dem Brexit, der ja noch lange nicht abgeschlossen ist, bin ich mir sicher, dass es genug kluge Köpfe geben wird, solche Sachen rückgängig zu machen.
Erwägen Sie noch einmal eine neue Ballade zu komponieren, um auf politische Defizite aufmerksam zu machen?
Wenn ich so ein überwältigendes Gefühl noch einmal spüre und Teil einer solchen Atmosphäre bin, bin ich dafür offen. Man kann sich aber nicht hinsetzen und meinen, einen Song schreiben zu können, der die ganze Welt erreicht. „Wind of Change“ ist ja auch nicht daraus entstanden, weil ich vor dem Fernsehen gesessen habe und mir den Fall der Mauer vom Sofa aus angeschaut habe. So etwas passiert einfach, ohne dass man einen Einfluss darauf hat.
Die USA errichten eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. Werden Sie am 2. Und 8. Mai 2018 während Ihrer Konzerte in Mexico „Wind of Change“ singen und damit an Trump appellieren?
Bei Pressekonferenzen werde ich dazu Stellung nehmen. Während unserer Konzerte versuchen wir allerdings, Politik außen vor zu lassen.
Sie berichteten von der Sprache der Musik. Wie könnten Musikauftritte neben der politischen Diplomatie in Zukunft eine Rolle für den Frieden spielen? Können wir durch die Musik die Völkerverständigung vorantreiben?
Da muss man ganz realistisch sagen, dass ein Musikstück nicht die Welt verändert. Ich kann nur für uns sprechen: Wenn wir aber in Usbekistan ein Konzert geben, einem Land, in dem westliche Musik bis vor kurzem verboten war und das ganze Publikum trotzdem alle unsere Songs kennt und vor allem „Wind of Change“ so laut mitgesungen wurde, dass einem alle Haare hochstanden, dann spüre ich dort tatsächlich einen „Change“. So ein Song kann eine ganze Generation erreichen und über Politiker hinweg ein Meinungsbild stiften.
Wo spielen Sie am liebsten?
Es gibt keinen Ort, an dem ich am liebsten spiele. Wichtig ist für mich, dass wir eine starke Resonanz während des Konzertes haben, wir wollen Fans, die emotional reagieren.