Herr Kern, Sie sind dafür bekannt, dass Sie in den letzten Jahren ein außergewöhnliches Marketing bei Breitling geführt haben, von dem die Marke stark profitiert hat. Was machen Sie anders als Ihre Wettbewerber?
Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Kreativität kann man besonders in einem akademischen Umfeld nicht einfach lernen. Ich habe einmal an einer Konferenz in Luzern mit rund 1000 Marketingdirektoren teilgenommen. Dort stellte ich folgende Frage: „Wer von Ihnen hat das Gefühl, kreativ zu sein?“ Daraufhin haben alle Anwesenden die Hand gehoben. Ich habe jedoch gesagt, dass aus dieser ganzen Masse wahrscheinlich nur eine Person wirklich kreativ sei und gutes Marketing führen könne. Es gibt einen grossen Unterschied dazwischen, auf der einen Seite Marketingtheorie zu verstehen und auf der anderen Seite die tatsächliche Fähigkeit zu haben, eine Marke aufzubauen und diese auch zu führen. Selbst die besten Consultants bei Beratungsfirmen oder sogar starke KI-Systeme können nicht mit echter Kreativität konkurrieren. Was ich sagen will: Marketing braucht Prinzipien.
Nach meinem Studium an der HSG arbeitete ich bei Kraft Jacobs Suchard, heute Mondelez, und habe dort bestimmte Prozesse gelernt. Man lernt, wie man Positionierungs- und Mission-Statements verfasst. Aber alles darüber hinaus ist intuitiv! Konkret: Bei Breitling wird kein Market Research betrieben. In der Luxusgüterindustrie kommen alle Entscheide aus dem Bauch heraus, weil wir den Bedarf selbst kreieren. Wir arbeiten ganz nach dem Motto: We don‘t respond to demand, we create the demand. Wir stellen schliesslich keine Lebensmittel her, sondern Luxusprodukte, die viele wollen, aber nicht wirklich brauchen. Und dann wiederum gibt es Produkte, die viele brauchen, aber niemand will.
Insofern kann man diese Frage nicht akademisch beantworten. Nichts in unserer Branche lässt sich rein akademisch erklären. Oft kommen mir Ideen beim Radfahren oder auch unter der Dusche. Es ist alles eine Frage des Gefühls, der Intuition.
Zunächst stellt sich die Frage, wer ist überhaupt in der Lage, Produkte zu entwickeln. Dabei gibt es zwei zentrale Herausforderungen. Die erste besteht darin, Designs zu schaffen, welche die Zielgruppe ansprechen. Wer sind die Designer? Wer kann die Vision des Unternehmens umsetzen? Die zweite Herausforderung ist, sicherzustellen, dass das Produkt zur Marke passt. Sehr oft hat man per se schöne Produkte, die aber gar nicht zur Marke passen. Oder man hat zwar eine starke Marke, das Produkt lässt sich jedoch nicht verkaufen. Diese beiden Aspekte zu vereinen, ist die eigentliche Herausforderung. Und dann muss man sich fragen: Wie baue ich eine Marke auf?
Breitling unterscheidet sich wesentlich von den traditionellen Luxusuhrenmarken mit ihrer relaxten, inklusiven und nachhaltigen Interpretation von Luxus. Breitling versteht sich als Leader des Neo-Luxury innerhalb der Uhrenindustrie und hat sich das auch auf die Fahne geschrieben. Wir wollen «The Indisputable Leader in Neo-Luxury» sein und verkörpern diesen Neo-Luxus von der Produktgestaltung, über die Kommunikation, das Design unserer POS bis zur Wahl der Partnerschaften und Markenbotschafter. Wir haben unseren einzigartigen Design-Stil definiert: Modern Retro. Unsere Designs sind von ikonischen Modellen inspiriert, die einen nostalgischen Charme versprühen und ein Gefühl von Geschichte vermitteln. Gleichzeitig haben wir sie mit modernen Akzenten versehen, so dass sie sich perfekt für den heutigen Stil eignen. Wir sind modern in der Technologie und Retro im Design – eine Kombination, die perfekt funktioniert.
Wenn Studenten glauben, dass man nach dem Studium ein Marketinggenie ist, ist das ein Irrglaube. Kreativität kann aus verschiedenen Bereichen kommen, und manchmal ist jemand aus der Finanzbranche kreativer als jemand aus dem Marketingbereich. Ich muss leider alle enttäuschen, die glauben, dass sie nach dem HSG- oder sogar einem Harvard-Studium Marketinggurus sind.
Private Equity Unternehmen halten einen großen Anteil an Breitling – war dies zu einer bestimmten Zeit ein Problem für Sie? War es schwer die Neupositionierung im Angesicht dessen durchzusetzen?
Vertrauen in die Führung und eine klare gemeinsame Zielsetzung sind entscheidend für Private Equity. Ich habe selbst auch investiert. Das gibt dem Private Equity Unternehmen zusätzliches Vertrauen, dass die Person, die das Unternehmen führt, auch ein persönliches Interesse am Erfolg hat.
Breitling hat vor kurzem Universal Genève erworben – herzlichen Glückwunsch an der Stelle. Was bedeutet das für Sie? Was sind die nächsten Schritte?
Wir haben seit einiger Zeit nach einer passenden Akquisition gesucht und haben uns verschiedene Brands angeschaut. Wir wollten eine Marke kaufen, die die nötigen Voraussetzungen mitbringt, um sie erfolgreich wiederaufbauen zu können. Universal Genève ist eine Marke im Dornröschenschlaf mit einer unglaublichen Geschichte und mit grossem Potenzial, deren Rückkehr sich viele Uhrenliebhaber erträumt haben.
Natürlich war auch Glück dabei. Das klingt jetzt unglaublich, aber die Verkäufer hatten eine emotionale Bindung zur Marke. Das ist dasselbe wie, wenn man ein Privathaus verkauft, in dem man 20 Jahre gelebt hat. Man will das Haus einer nächsten Familie geben, bei der man das Gefühl hat, dass diese das Haus auch geniesst.
Wir haben eine ganz klare Idee, wie wir das machen, aber wir stützen uns dabei stark auf unsere Intuition. Eine Marke definiert sich über ihre Geschichte, ihre Modelle und ihre Positionierung – das sind die Grundelemente, ähnlich wie bei Breitling. Die Herausforderung liegt darin, den Reichtum dieser Geschichte zu erfassen. Und die Geschichte ist extrem reich – bei Breitling sowie bei Universal Genève. Die Frage ist nun: Wie verpacken wir es, dass die Marke wieder den Glanz erlangt, den sie mal hatte? Aber es ist viel einfacher, mit so einer Geschichte, mit solchen Produkten, mit Designs usw. zu arbeiten, als eine Marke von null aufzubauen. Jeder, der Uhren liebt, kennt Universal Genève – ich habe in meinem Leben noch nie so viele E-Mails bekommen wie zu diesem Thema. Die Erwartungen bei Universal Genève sind sehr hoch. Wir haben viel zu tun.
Planen Sie in gewisser Weise eine Positionierung der Marke Universal Genève nach oben mithilfe von höheren Preisen?
Wie bereits erwähnt, verfügt die Marke über einen umfangreichen Backkatalog, und wir planen, diese klassischen Designs zu nutzen und gleichzeitig neu entwickelte, erstklassige Uhrwerke für den Relaunch zu integrieren. Dies ist mit Kosten verbunden, und daher befinden wir uns automatisch in einem höherpreisigen Segment. Schließlich kaufen die Kunden nicht ein Produkt von vor 40 Jahren, sondern ein modernes Produkt mit aktueller Technologie und hochwertiger Handwerkskunst. Der Preis erklärt sich durch die Qualität und die Merkmale der Uhr.
Ein weiteres zentrales Element, ist das Advisory Board, das wir ins Leben gerufen haben. Seine Hauptaufgabe besteht darin, uns dabei zu unterstützen, Fehler zu vermeiden, anstatt uns konkrete Anweisungen zu geben. Das gilt übrigens auch für Studenten, das sage ich häufig in meinen Referaten. Überlegt euch nicht, wo ihr gut seid, sondern überlegt euch, wo ihr schlecht seid und vermeidet das schlussendlich. Ich persönlich war beispielsweise ein mittelmässiger Student und wäre sicherlich ein katastrophaler Investmentbanker oder Consultant geworden. Man muss im Leben Fehler vermeiden und nicht das machen, wozu man nicht geeignet ist.
Das Gleiche gilt für Brands: Man sollte wissen, was man vermeiden sollte. Ein Gremium aus Sammlern kann uns nicht vorschreiben, was wir tun sollen, sonst wäre Universal eine reine Vintage-Marke. Die Herausforderung für eine Marke wie Universal Genève besteht darin, einen Mittelweg zu finden. Wenn man sich zu sehr an den Designs der Vergangenheit orientiert, besteht die Gefahr, als zu retro wahrgenommen zu werden. Entfernt man sich jedoch zu sehr davon, fragen sich die Leute, warum man das ursprüngliche Konzept zerstört hat. Es ist eine schwierige Balance, und Kritik bleibt oft nicht aus – das haben wir auch bei Breitling erlebt. Am Ende zählt jedoch nur eine Sache: der Erfolg. Denn wenn die Konsumenten überzeugt sind, steht das Ergebnis für sich. Ähnlich wie im Sport – wenn man vier Tore geschossen hat, fragt niemand hinterher nach der Strategie des Trainers, er hat einfach gewonnen.
Man hat in der Uhrenbranche mitbekommen, dass es einen starken Bedeutungszuwachs vom Graumarkt gibt, siehe Chrono24. Wie sehen Sie persönlich den Wiederverkauf von Uhren, und welche Auswirkungen hat das auf die Uhrenmarken und deren Preise?
Dieses Thema lässt sich nicht pauschal erklären, da es sowohl komplex als auch einfach ist. Erstens gibt es in der analogen Uhrenindustrie einen sehr starken Sekundärmarkt, der sich derzeit strukturiert. Das betrifft insbesondere den Markt für zertifizierte Gebrauchtuhren (CPOs, Certified Pre-Owned), der mittlerweile grösser ist als der Markt für neue Uhren. Warum? Der Grund liegt darin, dass digitale Uhren nicht gesammelt werden, während analoge Uhren nicht weggeworfen werden. Dieser Markt ist immens, aber er war bisher nicht strukturiert. Nun beginnt eine Strukturierung durch grosse Händler wie Bucherer, ähnlich wie in der Automobilindustrie, wo es einen etablierten Markt für gebrauchte Autos gibt.
Das heisst, diese sogenannten Graumarkt-Plattformen entstanden, weil es keine Strukturierung gab. Viele dieser Plattformen könnten verschwinden, da sich der Markt professionalisiert. Chrono24 ist in diesem Zusammenhang etwas anders, da hier Privatpersonen ihre Uhren verkaufen. Das ist in dem Sinne kein Graumarkt. Ein Graumarkt entsteht dann, wenn Händler aufgrund geringer Nachfrage Uhren aus dem Lager mit +5% oder +10% Aufschlag auf den Einkaufspreis weiterverkaufen und diese Uhren dann an den Endkäufer gebracht werden. Bei grossen Marken ist dieser Graumarkt jedoch weitgehend unter Kontrolle. Händler, die solche Praktiken anwenden, werden schnell entlarvt und ihre Verträge werden beendet. Wir bei Breitling merken das sofort.
Der klassische Graumarkt, wie er vor 20 Jahren existierte, ist bei den grossen Marken praktisch nicht mehr vorhanden. Es gibt heute noch Privatleute, die ihre Uhren auf Chrono24 verkaufen, oder es gibt einen Certified Pre-Owned Market, der strukturiert von Bucherer oder ähnlichen Anbietern geführt wird. Gleichzeitig gibt es auch hier und da noch Factory-Outlets, die Rückläufer und Modelle aus früheren Kollektionen anbieten. Das klassische Problem des Graumarktes, wie es vor zehn bis zwanzig Jahren existierte, ist also weitgehend gelöst.
Welche Zukunftsaussichten hat Breitling, und welche Projekte möchten Sie in den kommenden Jahren umsetzen?
Lassen Sie uns über Marketing sprechen, wie ich es an der HSG gelernt habe. Sie analysieren eine Marke aufgrund von vier Elementen: Relevance, Esteem, Differentiation und Awareness. In den ersten vier bis fünf Jahren mussten wir die Marke wieder relevant machen. Was bedeutet Relevanz? Breitling hatte ein Macho-Image, gross und Bling-Bling. Die Produkte waren nicht mehr zeitgemäss. Jetzt sind wir relevant, weil wir den aktuellen Werten entsprechen. Breitling unterscheidet sich wesentlich von den traditionellen Luxusuhrenmarken mit ihrer relaxten, inklusiven und nachhaltigen Interpretation von Luxus.
Der nächste Schritt ist, am Esteem der Marke zu arbeiten. Man kann zwar relevant sein, aber ohne Wertschätzung bleibt das Markenbild schwach. Also was ist das Esteem einer Marke? Wie wird eine Marke empfunden? Da arbeiten wir jetzt in dieser Phase, insbesondere während unseres 140-jährigen Jubiläums, stark dran. Wir haben daher ein Pop-up Museum in Zürich eröffnet, das Buch „140 Years in 140 Stories“ veröffentlicht und auch eine limitierte 140th Anniversary-Auflage – die Premier B19 Datora 42, die Navitimer B19 Chronograph 43 Perpetual Calendar und die Super Chronomat B19 44 Perpetual Calendar – lanciert. Diese Massnahmen sollen die wertigen Inhalte der Marke hervorheben. Das ist der grosse Fokus für uns in den nächsten zwei, drei Jahren.
Ein weiter Fokus liegt auf der Differenzierung – die haben wir, weil wir die einzige globale Generalisten-Marke im Markt sind, die von der sportlichen Endurance Pro bis hin zur eleganten Premier alles anbietet und damit interessant ist für ein breites Publikum. Die Kundschaft kann sich mit unserem entspannten, inklusiven Verständnis von Luxus und dem verbundenen Lifestyle identifizieren und fühlt sich von der frischen und nahbaren Breitling-Kommunikation angesprochen. Das Interessante aber ist, dass nur 10 % von Personen, die die Marke Breitling kennen, in Bezug auf Awareness auch das „neue“ Breitling im Kopf haben. Wir haben in den letzten sieben Jahren ein unfassbares Wachstum erlebt. Gemäss Morgan Stanley belegen wir den neunten Platz unter den zwanzig besten Schweizer Uhrenmarken. Unser nächstes Ziel ist es, in die Top fünf aufzusteigen. Derzeit kennen nur 10 % das „neue“ Breitling. Das bedeutet, dass 90 % der Menschen immer noch das alte Breitling im Kopf haben. Man stelle sich jetzt vor, welches Wachstum möglich wäre, wenn 20, 30, 50, 60, 70% der Menschen die neue Ausrichtung von Breitling kennen würden.
Unser Boutique-Netzwerk mit knapp 300 Boutiquen ist das beste Marketinginstrument, um die Marke zu präsentieren. Wir müssen mehr Traffic generieren, wir müssen unsere Geschichte erzählen. Wir sind weiterhin eine sehr relevante Marke mit starken Produkten, aber jetzt ist es wichtig, das Esteem zu forcieren, besonders im Rahmen unseres 140-jährigen Jubiläums und darüber hinaus.
Neben der eben genannten Bedeutung von Intuition und Kreativität – welche weiteren Gedanken möchten Sie mit der studentischen Leserschaft teilen?
Vergessen Sie nicht, dass es nicht nur um Rationalität geht. Es geht um Intuition und am Ende des Tages um Talent. Jeder Mensch besitzt gewisse Talente, und es ist wichtig, diese zu erkennen und zu nutzen, anstatt zu versuchen, etwas zu erzwingen, worin man nicht gut ist. Es ist wie im Fussball: Ein Torwart kann nicht als Stürmer agieren, und ein Stürmer kann nicht einfach die Rolle des Torwarts übernehmen. Es ist entscheidend, seine Stärken und Schwächen zu kennen und sich auf das zu konzentrieren, was man gut kann. Für mich ist das der entscheidende Punkt.
Ich sage immer zu Studierenden, dass Erfolg aus drei Teilen besteht: zu einem Drittel aus Verstand, zu einem Drittel aus harter Arbeit und zu einem Drittel aus Glück. Ich hatte in meinem Leben viel Glück und war oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort, auch bei Breitling. Erfolg hängt nicht nur von guten Noten ab, sondern auch von anderen Faktoren. An der HSG sind die Grundlagen in Bezug auf Wissen und Verstand bereits gut gelegt, aber man sollte nicht vergessen, dass es noch mehr braucht, um erfolgreich zu sein.