Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg.

Wir befinden uns in multiplen Krisen: Energiekrise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, Demokratiekrise. Der russische Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hat einmal schmerzlich vor Augen geführt, wie zu große Anhängigkeiten von einem Energielieferanten und das Ausblenden geostrategischer Risiken zu einem Desaster führen kann. Dieses Desaster kam leider mit Ansage. Ich selbst habe über 15 Jahre vor den Gefahren einer zu starken Abhängigkeit nach Russland gewarnt und für eine beschleunigte Energiewende geworben. Nun zahlen wir den Preis der verschleppten Energiewende. Hätten wir das Energiesparen im Gebäudesektor und im Industriebereich beherzt umgesetzt und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht ausgebremst, müssten wir heute nicht die gigantischen Kosten für fossile Energien bezahlen.

Der Preis der verschleppten Energiewende ist riesig, nicht nur ökonomisch, politisch, geostrategisch, sondern auch ökologisch und demokratisch. Die ökonomischen Kosten zeigen sich durch steigende Preise für fossile Energien und der damit verbundenen Inflation samt drohender Rezession und sozialen Verwerfungen. Der Angriffskrieg ist aber auch ein fossiler Energiekrieg, der auch zum Ziel hat, die gefestigten Demokratien zu zerstören. 
Die Klimakrise schreitet unaufhörlich voran. Der fossile Energiekrieg, ausgelöst durch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, hat negative aber auch positive Wirkungen für den Klimaschutz mit mehr erneuerbaren Energien. Negative, da aufgrund hoher Öl- und Gaspreise Investitionen in fossile Förderungen und Infrastrukturen verstärkt getätigt werden, wie etwa vermehrte Tiefseebohrungen für Öl und Gas oder Ausbau von LNG (Flüssiggas) Terminals. Positive, da ebenso aufgrund hoher Preise für Öl und Gas verstärkte Anstrengungen für Energieeinsparungen stattfinden, wie etwas im Gebäudebereich durch energetische Sanierung oder im Industriebereich. Ebenso finden Investitionen in den verstärkten Ausbau erneuerbare Energien einen Aufschwung, die Internationale Energieagentur sieht einen Wendepunkt weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien. Das wäre wünschenswert. 

Die Welt hat multiple Krisen zu bewältigen. Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende. Sie schafft Frieden, Freiheit und stärkt Demokratie. Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt, welches wir weltweit haben. Sie stärkt zudem die volkswirtschaftliche Resilienz und Klimaresistenz. Mehr win-win-win geht nicht. 

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Prof. Dr. Kemfert studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten von Bielefeld, Oldenburg und Stanford. Im Anschluss an ihre Promotion 1998 an der Universität Oldenburg forschte sie an der Fondazione Eni Enrico Mattei (FEEM) in Mailand. Seit 2004 leitet sie die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg. 2016 wurde sie in den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit berufen, dessen Co-Vorsitzende sie derzeit ist. Kemfert gehört zu den renommiertesten ihres Faches, und wurde als Spitzenforscherin mehrfach ausgezeichnet. Als Gutachterin und Politikberaterin ist Claudia Kemfert in Beiräten verschiedener Forschungsinstitutionen sowie Bundes- und Landesministerien sowie der EU Kommission tätig. Sie hat bereits mehrere Bücher zu Themen wie Klimawandel, Energiepolitik und Energiewende publiziert.